In Großbritannien verschreiben sich immer mehr Journalisten und Interessierte dem „data-journalism“
Während in Deutschland das Konzept des Datenjournalismus gerade erst entdeckt wird, weiß es in Großbritannien schon der renommierte Guardian: facts are sacred. Und Daten sind Fakten. Auf dem hauseigenen datablog der Zeitung wird der Kreativität in Sachen Datenaufbereitung und Themenwahl freier Lauf gelassen: die Namen der besten Fußballer der Welt kann man in Form einer Periodentafel studieren, für den Vergleich der aktuellen Rezession in Großbritannien mit vergangenen Wirtschaftsflauten auf der Insel wird ein traditionelles Koordinatensystem gewählt und wer wissen will wie die britische Regierung ihr Geld ausgibt bekommt durch eine aus bunten Kreisen bestehenden Graphik schnell einen Überblick.
Den Datenjournalismus auf lustige Bilder und kreative Darstellungen zu reduzieren, würde dem Trend jedoch fraglos Unrecht tun. Die DatenjournalistInnen beim Guardian und anderswo stellen Fragen – Fragen über politische, wirtschaftliche oder andere Zusammenhänge, die für sie und möglicherweise ihre LeserInnen relevant sind. Und sie versuchen Antworten zu darauf zu finden. Sie machen somit genau das, was auch ein wichtiger Teil der Arbeit traditioneller JournalistInnen ist. Und dennoch, so argumentieren zumindest die Daten-Pioniere, verändert der Datenjournalismus so einiges daran wie Medien sich verstehen und genutzt werden.
Erstens setzen sich die DatenjournalistInnen nach eigenem Bekennen, viel intensiver und kritischer mit Daten auseinander. Simon Rogers, eine der prominentesten Stimmen aus dem Bereich des britischen Datenjournalismus, wirft traditionellen JournalistInnen vor, sie akzeptierten gewisse Daten zu schnell. Somit ist der Datenjournalismus zweitens eine wichtige und notwendige Reaktion auf die (technisch) einfache Erreichbarkeit einer Unmenge von Daten. Daten sickern nicht nur durch Organisationen wie Wikileaks ins Internet, sondern werden in großem Stil von offizieller Seite online veröffentlicht. Im Falle der britischen Regierung ist eine Unmenge von Daten auf http://data.gov.uk/ einzusehen, aber Rogers betont, dass selbst Länder wie Saudi Arabien oder Bahrain Daten öffentlich machen. Diese Daten wahrzunehmen, zu analysieren und verständlich wiederzugeben ist die nicht zu unterschätzende Aufgabe der DatenjournalistInnen. Drittens wird die strikte Trennung zwischen JournalistIn und Rezipient aufgehoben. Wie Rogers unermüdlich betont, kann jeder DatenjournalistIn sein. Nicht nur stehen die Daten jedem zu Verfügung, sondern auch die technischen Hürden seien gering: eine Reihe von Programmen ermöglichen es auch weniger technisch-affinen Menschen ihre Ergebnisse kraftvoll zu präsentieren (eine Übersicht gibt es beispielsweise hier: http://datajournalismhandbook.org/1.0/en/delivering_data_7.html). Für Rogers ist Datenjournalismus somit der neue Punk. Er argumentiert, dass ganz wie bei der Musik, die auch ohne teure Musikschulen und großes Vorwissen gespielt werden konnte, ist auch die Nachricht des Datenjournalismus: Anyone can do it.
Die selbsternannten Punker haben Recht: es ist wichtig die Chancen der neuen, einfach verfügbaren Datenmassen zu erkennen und diese verantwortungsvoll zu nutzen. Aber Daten können auch nicht alles. So weist Jonathan Grey on der Open Knowledge Foundation in einem kritischen Artikel darauf hin, dass die schönen und scheinbar vollkommen neutralen Datenaufbearbeitungen keineswegs ein direktes und unbeeinflusstes Bild der Wirklichkeit darstellen. Grey vergleicht die Aufregung um den Datenjournalismus mit den Hoffnungen die in den Fotojournalismus gesetzt wurden. Die ersten journalistischen Fotografien im 19. Jahrhundert wurden bejubelt als unvoreingenommene und neutrale Zeugnisse der Wirklichkeit. Heutzutage ist es müßig die manipulativen Fähigkeiten von Bildern weiter zu betonen. Ähnlich vorsichtig wie mit Bildern sollten wir auch mit Daten umgehen. „Fakten sind heilig“ statiert der Guardian, „für eine fakten-basierte Weltsicht“ lautet das Motto der Datenjurnalismus-Website Gapminder. Datenjournalismus ist aber leider nicht gleich pure Faktenwiedergabe, sondern genauso abhängig von der subjektiven Selektion, Interpretation und Wiedergabe der Journalisten. Da dies aber eben für jede Form der journalistischen Verarbeitung der Realität gilt, kann und soll dies kein Argument gegen den Datenjournalismus sein. Es heißt aber, dass der Datenjournalismus mit genau so viel Vorsicht zu genießen und zu betreiben ist, wie jede andere Form des Journalismus.