Datenjournalismus   |   Tagged   |  

Von heiligen Fakten und neuen Punks

In Großbritannien verschreiben sich immer mehr Journalisten und Interessierte dem „data-journalism“

Die besten Fußballer der Welt – nur ein Beispiel für was auf dem datablog des Guardians alles zu finden ist. Quelle: http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2013/jan/25/worlds-best-footballers-visualised-periodic-table

Während in Deutschland das Konzept des Datenjournalismus gerade erst entdeckt wird, weiß es in Großbritannien schon der renommierte Guardian: facts are sacred. Und Daten sind Fakten. Auf dem hauseigenen datablog der Zeitung wird der Kreativität in Sachen Datenaufbereitung und Themenwahl freier Lauf gelassen: die Namen der besten Fußballer der Welt kann man in Form einer Periodentafel studieren, für den Vergleich der aktuellen Rezession in Großbritannien mit vergangenen Wirtschaftsflauten auf der Insel wird ein traditionelles Koordinatensystem gewählt und wer wissen will wie die britische Regierung ihr Geld ausgibt bekommt durch eine aus bunten Kreisen bestehenden Graphik schnell einen Überblick.

Den Datenjournalismus auf lustige Bilder und kreative Darstellungen zu reduzieren, würde dem Trend jedoch fraglos Unrecht tun. Die DatenjournalistInnen beim Guardian und anderswo stellen Fragen – Fragen über politische, wirtschaftliche oder andere Zusammenhänge, die für sie und möglicherweise ihre LeserInnen relevant sind. Und sie versuchen Antworten zu darauf zu finden. Sie machen somit genau das, was auch ein wichtiger Teil der Arbeit traditioneller JournalistInnen ist. Und dennoch, so argumentieren zumindest die Daten-Pioniere, verändert der Datenjournalismus so einiges daran wie Medien sich verstehen und genutzt werden.

Ist Datenjournalismus so einfach, wie drei Akkorde zu lernen? SImon Rogers sat ja! Quelle: http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2012/may/24/data-journalism-punk

Erstens setzen sich die DatenjournalistInnen nach eigenem Bekennen, viel intensiver und kritischer mit Daten auseinander. Simon Rogers, eine der prominentesten Stimmen aus dem Bereich des britischen Datenjournalismus, wirft traditionellen JournalistInnen vor, sie akzeptierten gewisse Daten zu schnell. Somit ist der Datenjournalismus zweitens eine wichtige und notwendige Reaktion auf die (technisch) einfache Erreichbarkeit einer Unmenge von Daten. Daten sickern nicht nur durch Organisationen wie Wikileaks ins Internet, sondern werden in großem Stil von offizieller Seite online veröffentlicht. Im Falle der britischen Regierung ist eine Unmenge von Daten auf http://data.gov.uk/  einzusehen, aber Rogers betont, dass selbst Länder wie Saudi Arabien oder Bahrain Daten öffentlich machen. Diese Daten wahrzunehmen, zu analysieren und verständlich wiederzugeben ist die nicht zu unterschätzende Aufgabe der DatenjournalistInnen. Drittens wird die strikte Trennung zwischen JournalistIn und Rezipient aufgehoben. Wie Rogers unermüdlich betont, kann jeder DatenjournalistIn sein. Nicht nur stehen die Daten jedem zu Verfügung, sondern auch die technischen Hürden seien gering: eine Reihe von Programmen ermöglichen es auch weniger technisch-affinen Menschen ihre Ergebnisse kraftvoll zu präsentieren (eine Übersicht gibt es beispielsweise hier: http://datajournalismhandbook.org/1.0/en/delivering_data_7.html). Für Rogers ist Datenjournalismus somit der neue Punk. Er argumentiert, dass ganz wie bei der Musik, die auch ohne teure Musikschulen und großes Vorwissen gespielt werden konnte, ist auch die Nachricht des Datenjournalismus: Anyone can do it.

Die selbsternannten Punker haben Recht: es ist wichtig die Chancen der neuen, einfach verfügbaren Datenmassen zu erkennen und diese verantwortungsvoll zu nutzen. Aber Daten können auch nicht alles. So weist Jonathan Grey on der Open Knowledge Foundation in einem kritischen Artikel darauf hin, dass die schönen und scheinbar vollkommen neutralen Datenaufbearbeitungen keineswegs ein direktes und unbeeinflusstes Bild der Wirklichkeit darstellen. Grey vergleicht die Aufregung um den Datenjournalismus mit den Hoffnungen die in den Fotojournalismus gesetzt wurden. Die ersten journalistischen Fotografien im 19. Jahrhundert wurden bejubelt als unvoreingenommene und neutrale Zeugnisse der Wirklichkeit. Heutzutage ist es müßig die manipulativen Fähigkeiten von Bildern weiter zu betonen. Ähnlich vorsichtig wie mit Bildern sollten wir auch mit Daten umgehen. „Fakten sind heilig“ statiert der Guardian, „für eine fakten-basierte Weltsicht“ lautet das Motto der Datenjurnalismus-Website Gapminder. Datenjournalismus ist aber leider nicht gleich pure Faktenwiedergabe, sondern genauso abhängig von der subjektiven Selektion, Interpretation und Wiedergabe der Journalisten. Da dies aber eben für jede Form der journalistischen Verarbeitung der Realität gilt, kann und soll dies kein Argument gegen den Datenjournalismus sein. Es heißt aber, dass der Datenjournalismus mit genau so viel Vorsicht zu genießen und zu betreiben ist, wie jede andere Form des Journalismus.

5 Comments   |   Read All
Annette Mehlhorn
Ja, der Kommentar war jetzt nicht mehr direkt aktuell, aber wenigstens hab ich ihn jetzt aus dem Spam-Ordner raus bekommen ...
"Future of TV"   |   Tagged , ,   |  

Schweizer Social-TV-Sender Joiz wird in Deutschland starten

Das Medienbranchenportal meedia berichtet, dass der Schweizer Sender Joiz im Sommer in Deutschland starten wird. Schwerpunkt des Senders ist ein interaktives Format:

“Bei uns ist die Interaktion mit dem Publikum keine Marketingfloskel, sondern unsere DNA”, so CEO Alexander Mazzara. “Joiz gibt es nun seit knapp zwei Jahren in der Schweiz. Natürlich haben wir in dieser Zeit viel gelernt. Es ist eine Herausforderung, wenn das Publikum jederzeit eingreifen kann, die Resonanz so direkt ist und der Ausgang mancher Sendung eher ungewiss.”

Robert Vossen schreibt dazu auf Basic Thinking:

Ein bisschen wie das junge MTV auf Droge. Zwar kann ich den Live-Stream in den USA nicht sehen und verstehe wegen des Schweizerdeutsch nahezu gar nichts, aber das Format „Living Room“ erinnert doch ein wenig an MTV TRL mit gekürztem Budget. Daran ist grundsätzlich nichts falsch, denn VIVA und MTV waren jahrelang die Spielwiesen der deutschen Fernsehlandschaft, die heutige Größen wie Joko und Klaas, Nora Tschirner, Christian Ulmen, Daniel Hartwig, Matthias Opdenhövel, Oliver Pocher oder Stefan Raab hervorgebracht haben.

Was denkt Ihr? Gibt es in Deutschland Bedarf für einen Social-TV-Sender? Oder können die Senderangebote wie ZDF Neon diese interaktiven Formate genug abdecken?

1 Comment
Jan
was genau ist denn nun so ein "Social TV Sender? ich hab nur verstanden, dass er eine DNA hat, was.nach ...
Alle Kategorien/Internet/Soziale Netzwerke   |   Tagged , , , ,   |  

Viel Lärm um Einiges – Der #aufschrei gegen Alltagssexismus

Es geht ein Aufschrei durch das Netz. Den Anstoß für die Debatte gab der Vorwurf unpassenden, anzüglichen Verhaltens einer Stern-Journalistin gegen den gerade erst ernannten Spitzenkandidaten der FDP für die Bundestagswahl, Rainer Brüderle. In der deutschen Twitter-Gemeinde schaffte es der Hashtag #aufschrei, mit Hilfe dessen Frauen und auch Männer ihre Geschichten über alltäglichen Sexismus erzählen, binnen Stunden zum Trending Topic. Gegen Nachmittag initiierte @Everydaysexism aus Solidarität mit den deutschen Zwitscherern ein englischsprachiges Gegenstück: #outcry.

In Frankreich gibt es seit fast einem Jahr das Blogprojekt Vie de meuf. Das Wort „meuf“ ist eine jugendsprachliche Abwandlung des Wortes „femme“, also Frau. Obwohl in Frankreich beispielweise die Vereinbarung von Familie und Karriere durch gute Kita-Betreuung für Frauen deutlich einfacher ist als in Deutschland, gibt es auch im Nachbarland noch genügend Baustellen: Frauen verdienen durchschnittlich 27% weniger als ihre männlichen Kollegen, erledigen trotz allem etwa 80% der Pflichten im Haushalt usw. Neben diesen offensichtlichen Missständen ist es jedoch der alltägliche Sexismus, der – eben – alltäglich und daher nicht erwähnenswert erscheint. Auf dem, zugegeben optisch wenig ansprechenden, offenen Blog von Vie de meuf, können Frauen ihre Erlebnisse schildern, in denen sie Diskriminierungen ausgesetzt waren.

Es bleibt zu hoffen, dass der Aufschrei auch ein wenig nachhallen kann und morgen nicht schon wieder in Vergessenheit geraten ist.

Datenjournalismus/Internet   |   Tagged   |  

Januar-Dossier: Datenjournalismus

Im Monat Januar 2013 wird es bei den Trendbloggern um das Thema Datenjournalismus gehen. Was ist Datenjournalismus? Sehr lesenswert dazu ist das Interview von Ulrike Lange (von Medial-Digital) mit dem Journalisten und Experten Nicolas Kayser-Bril, der schon sehr viel in den Bereich gearbeitet hat u.a. beim Journalismus-Startup Owni.fr als Datenchef und Gründer von Journalism++. Er sagt in dem Interview:

Datenjournalismus ist [...] nicht bloß Datenbereitstellung. Er kann Daten auch in Kontext stellen und analysieren. Nehmen wir das Beispiel Agrarpolitik. Wir haben dazu alle Daten über alle Subventionen, die jede noch so kleine Region in Europa erhält. Diese Zahl haben wir zum Bruttoinlandsprodukt der jeweiligen Region in Relation gesetzt. Wir haben also ein Ranking der Einnahmeanteile einer Region aus Subventionen erstellt. Damit konnten wir präzise sehen, welche europäische Kommune sich mit ihren Einnahmen fast ausschließlich auf Subventionen stützen. Das ist Journalismus. Wir haben eine journalistische Fragestellung, und wir vertiefen die vorliegenden Daten, auch wenn sie in binärer Form in einer Datenbank liegen. Ich würde Datenjournalismus eher definieren als Journalismus von Journalisten, die programmieren können.

Etwas genauer hat das Lorenz Matzat, ein weiterer Experte auf dem Gebiet des Datenjournalismus definiert:

Ein oder mehrere maschinenlesbare Datensätze werden per Software miteinander verschränkt und analysiert – damit wird ein schlüssiger und vorher nicht ersichtlicher informativer Mehrwert gewonnen. Diese Information wird in statischen oder interaktiven Visualisierungen angeboten und mit Erläuterungen zum Kontext, Angaben zur Datenquelle (bestenfalls wird der Datensatz mit veröffentlicht) versehen. Letztere wird ggf. kommentiert (in Schrift, Ton oder Bewegtbild). Liegen die Daten nicht maschinenauswertbar vor (z.B. hundertausende Emails) können die User aufgefordert werden, die Recherche weiter mit voranzutreiben (“Crowdsourcing”, siehe bspw. “Investigate your MP’s expenses“).

Die Aufgabe für die Trendblogger für Januar lautet, Beispiele aus den Ländern der Trendblogger rund um das Thema Datenjournalismus zu finden:

  • Spannende Beispiele der Darstellung von Daten in traditionellen Medien, insbesondere interaktive Beispiele
  • Spannende Start-Ups, welche Journalisten die Möglichkeit bieten, Daten zu analysieren und auszuwerten
  • Kontroversen rund um das Thema Daten in den Medien (Stichwort: Umgang mit Wikileaks)

Toll wäre es, wenn jeder Trendblogger recherchieren könnte, welche Journalisten sich in den jeweiligen Ländern intensiv mit der Materie befassen – diese könnten wir dann hier in der Blogroll verlinken, wir könnten aber auch Interviews mit ihnen machen.

Die nächste Redaktionskonferenz findet statt am 13. Februar 2013 mit dem Journalisten Richard Gutjahr.

10 Comments   |   Read All
Nastasja Rykaczewski
In Belgien ist der Datenjournalist Joel Matriche aktiv. Er schreibt für die große, französischsprachige Tageszeitung Le Soir sowie auch in ...
Alle Kategorien/Mobile/Mobile Media Innovation   |   Tagged , , , , , , ,   |  

WeChat – der neue Kommunikations-Allrounder aus China

Kommt die neue Medieninnovation und möglicher Facebook-Konkurrent aus China?

Bisher war China eher dafür bekannt, globale Internetphänomene wie Facebook, Google und Twitter zu kopieren und für den chinesischen Markt kompatibel zu machen. Das könnte sich nun ändern. Mit dem Dienst „WeChat“ kommt ein Kommunikations-Allrounder aus dem Reich der Mitte, der es darauf anlegt, sich auf dem Weltmarkt durchzusetzen. Das Bestechende: Er vereint einzelne Kommunikations-Tools, wie wir sie von Facebook, Skype oder WhatsApp kennen, zu einem einzigen Allround-Dienst. Kommt die neue Medieninnovation und möglicher Facebook-Konkurrent also aus China? read more…

1 Comment
Oli
Ich verwende selber Wechat seit über einem Jahr und bin von dem Funktionsumfang begeistert. Sollte Tencent wirklich den europäischen Markt ...
Alle Kategorien/Die Trendblogger/Mobile/Mobile Media Innovation   |   Tagged , ,   |  

Streetmuseum: Ein Museum für die Hosentasche


Die App „Streetmuseum“ bringt Bilder und Fotos der „Galleries of Modern London“ in die Londoner Straßen und zeigt die Hauptstadt und seine Sehenswürdigkeiten von einer ganz anderen Seite. Mit dem kostenlosen App vom „Museum of London“ lassen sich spannende und versteckte Geschichten rum um London entdecken. Es zeigt, wie faszinierend und interessant die Vergangenheit sein kann und lässt diese ganz einfach mit der Gegenwart verschmelzen.

read more…

Alle Kategorien/Die Trendblogger/Dossier/Mobile/Mobile Media Innovation   |   Tagged , , , , ,   |  

Kostenlose iPhones für die Studenten in Leeds

 

Bei der mobilen Berichterstattung spielt das Smartphone eine immer wichtigere Rolle. Die richtige und effiziente Nutzung des neuen Mediums gehört mittlerweile zu den grundlegenden Anforderungen an jeden Journalisten; das zeigt auch die geplanten Lehrplanänderungen der Universität Leeds. Alle Studenten des Aufbaustudiums Journalismus sollen in diesem Jahr mit Iphones ausgestattet werden und so von Anfang an den Umgangen mit dem Gerät, Apps und Zubehör lernen. 

read more…

1 Comment
Karin
Liebe Luise, ein sehr interessantes Thema, weil es ja auch darum geht, wie der Journalismus der Zukunft aussehen wird. Ich ...
Alle Kategorien/Internet/Mobile/Mobile Media Innovation   |   Tagged , ,   |  

Youboox – eine Bibliothek für die Hosentasche

Das geschriebene Wort ist nicht tot, aber man liest es jetzt und in Zukunft lieber in E-Ink oder auf dem Tablet und vor allem unterwegs. Das französische Projekt Youboox unterstützt diesen Trend mit einer kostenlosen Online-Bibliothek.  

(Quelle: Youboox.fr)

Was habe ich mich gewehrt und große Reden geschwungen: Niemals würde ich ein E-Book kaufen. Es gibt doch nichts Schöneres als den Geruch eines ungelesenen Buches. Man möchte doch auch etwas in der Hand halten. Und, und, und. Heute muss ich lächeln, wenn ich selbige Aussagen aus den Mündern meiner Mitmenschen vernehme. Zu Weihnachten habe ich mich nach langen Überlegungen selbst mit einem E-Reader beschenkt. Ich bin nun großer E-Book-Fan.

Der deutsche Buchhandel revidierte zwar seine euphorischen Prognosen, mit den E-Books ließen sich im Jahr 2015 9,2 Prozent des Umsatzes generieren, auf 3,5 Prozent. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass auch die militantesten Bücherwürmer, wenn nicht bekehrt, dann aber doch wenigstens in Versuchung geführt werden könnten, wenn sie erst einmal einen E-Book-Reader für einige Zeit benutzen könnten.

read more…