Stockholm,
Trendblogger-Jahrgang 2012/2013 Schweden steht für endlose Wälder und Seen; die Natur bestimmt dieses Land. Gleichzeitig gilt es als eines der innovativsten und offensten im Bereich der Technik und Neuer Medien. Wer kennt oder nutzt nicht Skype oder Spotify? Wie das zusammenpasst, möchte ich in meinem Auslandssemester in Stockholm gerne herausfinden - und meine Erfahrungen mit euch teilen.


Nach den Stockholmer Krawallen: Übers Netz in die Demokratie

Ausgebrannte Autos: Kann man Frustrierte über Soziale Medien in die Demokratie integrieren? - Photo: M. Joedicke

Ausgebrannte Autos: Kann man Frustrierte über Soziale Medien in die Demokratie integrieren?
- Photo: M. Joedicke

Wie immer: Mit seiner großen demokratischen Tradition wird Schweden auch als ein politisches Vorbild verstanden. Doch die Krawalle frustrierter Jugendlicher um Stockholm in der vergangenen Woche schrien geradezu, dass einige in dieser Demokratie vergessen wurden. Können Soziale Medien Abhilfe schaffen?

Schweden gilt vielen als das Musterland demokratischer Partizipation. Bei den letzten Wahlen zum Schwedischen Reichstag lag die Beteiligung bei hierzulande unvorstellbaren 82 Prozent. Bis in der letzten Woche in Stockholms Vororten Autos brannten – und sich niemand erklären konnte, warum es auch in Schweden einen Anteil in der Gesellschaft gibt, der sich so Gehör verschaffen möchte. Sofort entbrannten die Diskussionen, wie die Frustrierten besser in die Gesellschaft integriert werden könnten. Manche stießen auf das Internet als Lösung.

Entbrannte Diskussionen

Ausgehend vom nördlichen Vorort Husby waren in mehreren Nächten hintereinander in Vororten Autos in Brand gesteckt worden, später öffentliche Gebäude wie Polizeiwachen und Schulen. Die herangeeilten Polizei- und Feuerwehrkräfte sahen sich teilweise gewalttätiger Gegenwehr ausgesetzt. Ein genauer Grund für den Ausbruch der Randale ist, wie so oft, kaum festzumachen. Auslöser war wohl der Tod eines 69-Jährigen, den die Polizei bei einem Einsatz in Husby zuvor erschossen hatte.

Wie einfach ist die Lösung der brennenden Autos? - Photo: Dirk Grund

Wie einfach ist die Lösung der brennenden Autos?
- Photo: Dirk Grund

Die Bürgerinitiative Megafonen beanspruchte gleich Deutungshoheit für die Randalierenden und interpretierte die Ausschreitungen als Widerstand gegen die in der schwedischen Gesellschaft klaffende soziale Schere. Und wirklich. Selbst in der Washington Post beschäftigte man sich aus sozio-ökonomischer Sicht mit den Hintergründen der Ausschreitungen und bestätigte diesen Missstand. Doch trotz der Klarheit der Ursachen kennt niemand eine Lösung.

Vom eigenen Vorbild lernen?

Wie wäre es also, sich am eigenen Aushängeschild zu bedienen, dem Internetzugang? Nirgendwo auf der Welt ist die Verfügbarkeit des Netzes so groß wie in Schweden. Auch deswegen ist die Internetfreiheit in dem skandinavischen Land auf einem sehr hohen Niveau. So hoch, dass Schwedens Außenminister Carl Bildt selbst darauf hinweist, dass andere Länder von Schwedens Freiheit im Internet für ihre Gesellschaften profitieren sollten. In Deutschland guckt man derweil staunend auf die schwedischen Politiker, die sich der Sozialen Medien „vorbildlich“ bedienen. Doch leider funktioniert dieser Kommunikationsweg auch in Schweden nur in eine Richtung.

Soziale Medien wirken nämlich nur dann sozial, wenn sie einen Austausch ermöglichen. Dieser findet mit den Jugendlichen, die um Stockholm auf die Straßen gingen, aber nicht statt. Die schwedische Demokratie ist vor allem eine Parteiendemokratie, mehr als jede andere in Europa, wie eine Untersuchung niederländischer Staatswissenschaftler zeigt, auf die zwei Wissenschaftler an der schwedischen Universität Örebro verweisen. Was das für die Demokratie heißt? Dass sie direkt und umsetzungsstark ist, könnte man vermuten, aber dem einzelnen den Zugang erschwert. Und das leider auch über das Internet.

Das Internet als Demokratiehoffnung

Im vernetzten Land Schweden setzen nun Demokratieerneuerer vor allem auf das Internet. Die Hoffnung, über das Netz Einfluss zu nehmen, wird immer häufiger und deutlicher formuliert. Eine Möglichkeit sind seit vielen Jahren bekannte E-Petitionen. In der drittgrößten schwedischen Stadt wurde dafür ein Internetportal eingerichtet: Malmöinitiativet. Doch die Nutzerzahlen geben ein zwiespältiges Bild ab: 14 027 Unterschriften wurden bisher gesammelt. Auf die 435 Vorschläge umgerechnet gibt das gerade einmal 33 pro Initiative. Allein 2813 entfielen dabei auf den populärsten Vorschlag.

Vielleicht aber sind E-Petitionen zu altbacken, schrecken junge Menschen eher ab, sich an der Demokratie zu beteiligen? Die Hoffnung vieler ruht daher auf den sozialen Medien wie Facebook oder Twitter. Doch der Politikwissenschaftler Nils Gustafsson von der Lunds Universitet zerstört diese Hoffnung:

„Soziale Medien führen nicht zu mehr Demokratie“

lautet sein Fazit. Zwar sei es heutzutage möglich, durch die Sozialen Medien Themen auf die politische Tagesordnung zu setzen. Doch es sind die gleichen Eliten wie in der Parteiendemokratie, die auch diese Medien bestimmten. Denn meistens werden sie (Beispiel Twitter) als eindimensionale Kommunikationskanäle genutzt.

Das Rathaus von Stockholm: In Schweden wird Demokratie vor allem von den Eliten und Parteien gemacht.

Das Rathaus von Stockholm: In Schweden wird Demokratie vor allem von den Eliten und Parteien gemacht.

Bezeichnenderweise war es niemand der jugendlichen Randalierer, der im Rahmen der Stockholmer Ausschreitungen für die größte Furore in sozialen Netzwerken sorgte, sondern ein Feuerwehrmann. Mattias Lassén klagte an:

„An dich, der du heute Nacht Steine auf uns geworfen hast.

Heute Nacht warfst du Steine auf uns! Glücklicherweise war es nur einer von ungefähr 20 Steinen, der durch die Scheibe ging. Zufällig hatte ich meinen Helm auf dem Kopf, so hinterließ der Stein nur eine große Beule in meinem Helm. Zufällig hast du nicht unseren Fahrer getroffen, er hätte einen Unfall mit uns bauen können und er hätte seinen Sohn morgen im Kindergarten hinterlassen können. Ich selbst bekam eine Umarmung von meiner Freundin, als ich nach Hause kam, eine unwirkliche Umarmung! Zufällig wurde niemand anderes körperlich verletzt durch die Steine, die du auf uns warfst. Aber du hast mein Arbeitsleben und das meiner Freunde für alle Zukunft beeinflusst!

Ich bin hier, wenn dein Papa Hilfe braucht, wenn er einen Unfall mit seinem Auto hat, ich helfe deiner Schwester, wenn es in ihrer Küche zu brennen beginnt. Ich werde im eiskalten Wasser schwimmen, um deinem kleinen Bruder zu helfen, wenn er aus einem Boot gefallen ist, obwohl es eiskalt im Wasser ist. Ich werde deiner Oma helfen, wenn sie einen Herzstillstand hat und ich werde auch DIR helfen, wenn du an einem sonnigen Tag im März über das Eis gehst. Warum tust du mir das an? Ich habe auch eine Familie, die mich wiedersehen will, genau wie du!“

Lasséns Eintrag wurde auf Facebook in einer Woche fast 100 000 mal geteilt.

Ganz Schweden hat ein Problem – wie viele andere Länder auch – das keine Sozialen Medien lösen können. Das können allein die schwedische Politik und die Gesellschaft selbst.

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