Linköping,
Trendblogger-Jahrgang 2013/2014 Modeblogs mit Instagramfotos von Vintage-Läden und Zimtschnecken, gepaart mit einem Hauch Feminismus: Mit diesem Eindruck von Schweden begebe ich mich für ein Semester nach Linköping. Nicht nur Land und Leute, sondern auch User und Medien werde ich dort beobachten und für euch beschreiben. Ob die Leute da wirklich so schön sind, wie das Internet wirken lässt, ob wirklich alles sofort mit dem Smartphone fotografiert wird, ob Schweden wirklich das europäische Musterland schlechthin ist? Mythen hin oder her, ich werde es austesten.


Wie ich aus lauter Einsamkeit alle Datingportale stürmte

[CW: Sexuelle Belästigung]

Als ich in Schweden ankam und direkt meinen ersten Kurs schmiss, hatte ich nicht nur drei Wochen lang nichts zu tun, sondern keine sozialen Real-Life-Kontakte. Im Café sitzen und sympathisch aussehende Menschen anstarren, bis sie eins ansprechen, ist nicht gerade meine Stärke, deshalb verdrängte ich meine bisher belächelnd-ablehnende Haltung gegenüber dem Online-Dating und meldete mich gefühlt überall an.

Überforderung, Wut und Crush-Schwärmerei: für alle Nerven was dabei.

Überforderung, Wut und Crush-Schwärmerei: für alle Nerven was dabei.

Von meinen Freunden* kannte ich schon queeren Dating-Communities wie Planet Romeo oder Grindr, die sich beide auf Männer* spezialisieren. Gerade letztere stellte ich mir interessant vor, weil sie über eine App läuft und angemeldete Personen der räumlichen Nähe nach auflistet. Das Gefühl, allen aus meinem Umfeld angezeigt zu werden, kam mir unbehaglich vor, andererseits hätte ich auch einen Überblick darauf, wen es denn in der Nähe überhaupt so gäbe. Und so.

Brenda
Google verriet mir, dass es die App „Brenda“ für Frauen* gibt, sogar gratis. Der Name schien mir ein bisschen random gewählt, hätte auch „Laura“ oder „Jutta“ sein können. Und das Layout versuchte mir mit Lila und der Silhouette einer ihre Jacke ausziehenden frauisierten Person zu sehr eine ~sexy Atmosphäre~ erzwingen zu wollen. Aber was hatte ich schon für eine Wahl?
Ich zögerte mit dem Herunterladen nicht lang und war supernervös, als ich mein Profil ausfüllen sollte. Viele Felder gab es gar nicht: Name, Alter, Körpergröße, optional Gewicht (wtf?) und ein about-Kasten. Wie nenne ich mich? Was nehme ich für ein Foto? Oder gleich mehrere? Was schreibe ich über mich? Noch hatte ich ja keine Einsicht auf die anderen Nutzerinnen*, also musste ich selbst entscheiden, wie viel Informationspreisgabe ich angebracht fand.

Wie will ich mich überhaupt präsentieren? Die flirty Linie beherrsche ich sowieso nicht, setze ich dann auf awkward-angsty Bloggerin? Oder wütende Feministin? Oder Glitzerfee? Wie sehe ich mich überhaupt selbst? Ich philosophierte vor mich hin. Diese digitale Selbstinszenierung erreicht im Dating-Kontext ein neues Level.

Als ich endlich sehen konnte, wer in meiner Stadt diese App nutzte, stellte ich fest, dass es nicht viele waren. Die Nicknames waren auch nicht sonderlich ansprechend: Lesbian, GaySundae, s (ja, einfach nur ein kleines s). Ein bisschen ernüchtert dachte ich an die frechen Namen, die damals alle im Killerpilze-Forum hatten. Aber: Don’t judge a book by its cover.

Manche Beschreibungen klangen sympathisch, andere gaben lediglich ihr Alter an. Wie sollte ich denn Menschen anschreiben, über die ich nichts wusste? Einfach nur nach dem Befinden fragen wäre zu offensichtlich. Ich war ja nicht mal auf der Suche nach romantischen Dates, ich wollte einfach mit Menschen Kaffee trinken gehen und nicht alleine sein müssen.

Ich fragte meinen Grindr-Pro-Freund nach Rat. Er riet mir, einfach alle sympathisch aussehenden Frauen* anzuschreiben. Einfach grüßen. Einfach fragen, wie es geht. Einfach Komplimente machen. Einfach innerlich sterben. Ich traute mich nicht.

Wenige Tage später reiste ich nach Göteborg. Was mit meinem Radar, also der Startseite passierte, war unglaublich: Wo kamen all diese coolen, attraktiven Menschen her? Ich hatte einige Stunden in der Stadt Zeit, bis ich meine Couchsurfer am Abend treffen konnte, also schrieb ich alle auf Anhieb interessanten Nutzerinnen* aus der Nähe an und schilderte meine Situation: dass ich am Bahnhof säße, vier bis fünf Stunden lang nichts zu tun hätte und ob sie mir ein cooles Café oder so zeigen wollten. Ganz unkompliziert, wie bei Couchsurfing. Gleich nach dem Absenden hätte ich mich gern geohrfeigt, weil ich mir so unbeholfen und awkward vorkam.

Geantwortet haben alle natürlich zu spät (wenn überhaupt). Aber ich konnte meine erste Chat-Erfahrung machen. Auch wenn sie sehr an der Oberfläche nagte. Als ich eine fragte, ob wir uns zum Fika treffen wollten, schrieb sie, dass sie niemanden von Brenda treffen möchte, weil es awkward sein könnte. Verständlich. Und ein Tritt auf mein Selbstbewusstsein.

Dieses pirschte übrigens neulich in die Höhe, als ein kompletter Freundinnenkreis aus supercoolen Feministinnen mich anschrieb und mir verklickerte, dass sie mich gern in ihrer Gang hätten. Leider nicht aus der unmittelbaren Nähe, aber trotzdem toll. Eine von ihnen wird mich in ein paar Wochen tätowieren und wir werden gemeinsam tanzen gehen. Meine Freudentränen sind noch nicht getrocknet.

Qruiser
Wer in Schweden mitmischen will, muss hier angemeldet sein. So wurde es mir versprochen. Die Oberfläche von Qruiser impliziert nicht gerade den Begriff Queer Avantgarde, aber das kann ich ihnen auch nicht vorwerfen, weil ich ihn mir gerade ausgedacht habe. 
Dabei ist dieses Portal nicht rein schwedisch, sondern für den Norden, wie weit der wohl auch reichen mag. Auf Qruiser kann eins in sogenannte Klubs gehen, wie Gruppen früher bei StudiVZ. Diskutiert wurde über Grundsätze, ich hatte keine Lust, mich einzubringen.

Die User sind ziemlich durchgemischt: Es gibt coole – ich lernte hier eine meiner engsten Freundinnen in der Stadt kennen – und es gibt welche, die extrem creepy sind. Letztere sind grundsätzlich alte Typen, die eins anschreiben, obwohl im Profil explizit steht, dass kein Interesse an Kontakt zu heterosexuellen Cis-Typen besteht. Vermutlich, weil sie sich nicht einmal die Mühe geben, diese vier Zeilen zu lesen.

Es fühlt sich extrem unangenehm an, von Mittvierzigern angeschrieben und gefragt zu werden, ob eins ihnen helfen kann, die Windeln zu wechseln. Die gesellschaftliche Formel, Typen stets höflich und freundlich entgegenzukommen, und die Überforderung, führten beim ersten Mal noch dazu, dass ich schrieb, dass ich leider nicht weiterhelfen könne und ihnen viel Erfolg bei der weiteren Suche wünsche. Seitdem habe ich solche Nachrichten direkt gelöscht. Selbst dann, wenn es nur ein schmalziges „Hey du Süße, wie geht’s dir?“ war. Ich bin nicht süß zu solchen Typen.

Diese unangenehmen Konfrontationen können sich vermeiden lassen. Eins kann einstellen, dass nur gewisse Leute – je nach Alter und Geschlecht – auf das eigene Profil dürfen. Mit einem Pro-Account. Für 45€ im Jahr. Nein, danke. So aktiv bin ich hier dann doch nicht.

OkCupid
Es gibt da also diese Seite, auf der eins Fragen beantworten kann, unendlich viele Fragen, und dann auch noch coole Leute dabei treffen kann? Klingt für mich nach einem vernünftigen Deal. Einer Win-Win-Situation.

Meine Twitter-Timeline schwärmt von OkCupid, einer US-amerikanischen Dating-Website. Ihrem Ruf zufolge ist es mit Abstand die beliebteste, auf der eins heutzutage angemeldet sein kann. Die Oberfläche sieht ziemlich schick aus, vor allem auf der dazugehörigen App. Geärgert habe ich mich allerdings darüber, dass die Hauptfelder nicht so 2013 sind: Eins kann männlich oder weiblich sein, straight, bi- oder homosexuell, und entweder single, in einer Beziehung oder verheiratet sein. Mir fehlen Optionen wie queer, asexuell, pansexuell, trans* oder poly. Vor allem, was Genderidentität oder sexuelle Orientierung angeht, ist Qruiser hier voraus. Aber eins darf nicht vergessen, dass OkCupid unter diesen drei Plattformen auch die einzige ist, die sich auch an Heterosexuelle richtet.
Dafür konnte ich, ohne mich kostenpflichtig auf die sogenannte A-List setzen zu lassen, einstellen, dass ich straighten Leuten nicht angezeigt werde. Das heißt: Keine creepy, alten Typen mehr.

Ich verbrachte Stunden damit, diese Fragen zu beantworten. Damit lassen sich nicht nur Interessen, sondern auch politische Haltungen, (nicht mehr so) geheime Vorlieben und Gewohnheiten angeben. Eins kann auch bestimmen, welche anderen Antworten eins okay findet und wie wichtig diese Übereinstimmung ist. So lassen sich rassistische, sexistische oder anderweitig störende Leute besser rausfiltern. Einige Fragen sind sehr relevant, andere hingegen finde ich unnötig.

Angemeldet sind hier wieder sehr unterschiedliche, aber auch sehr coole Menschen. In meiner direkten Umgebung mal wieder Flaute, aber schon 30km weiter sieht es viel besser aus. Einfach nur über gemeinsame Interessen schreiben funktioniert hier besonders gut, weil eins so viel über sich preisgibt und die Eigenschaften der User viel differenzierter sind. Es kann abgeglichen werden, wer welche Fragen wie beantwortet hat oder wie die Persönlichkeit (gemäß der Fragen) ist – z.B. wie politisch, altmodisch oder kinky jemand ist.

Hier konnte ich mich schon mit einer Berlinerin über sexistische Macker aufregen, einen Mixtape-Swap machen und wurde von einer Bekannten angeschrieben. Freund_innen finden funktioniert hier super, auch wenn es wegen der Distanz oft bei Internet-Kontakt bleibt.

Was ich gelernt habe, ist dass selbst das Internet nichts daran ändern kann, dass in meiner Gegend nichts geht und die coolsten Leute grundsätzlich in den Großstädten wohnen. Ich meine, das hab ich vorher schon gewusst, aber jetzt wurde es mir noch mal bestätigt. Da lob ich mir mein altbewährtes Tumblr (für Singles mit Niveau).

Folge der Autorin @sassyheng auf Twitter.

 

 

8 KOMMENTARE , GEBE EINEN KOMMENTAR AB

  1. Netter Artikel, manchmal muss man eine Zeit lang alleine zurechtkommen – mir hat das Buch „Einsamkeit überwinden“ von Doris Wolf sehr geholfen …

    Chiara

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