Seit 1776 bestimmt ein Gesetz namens Öffentlichkeitsprinzip den Informationsfluss in der schwedischen Gesellschaft. Doch lässt sich diese öffentliche Zugänglichkeit von Daten auch auf moderne Medien übertragen? Schweden haben ein schwieriges Verhältnis zum Datenschutz im Internet.
Es klingt nahezu unglaublich: „Steuererklärung per SMS“, titelt der Skandinavien-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, Gunnar Herrmann, aus Malmö. In Schweden sei die Steuermoral höher, Gesetze und Regelungen einfacher – viele Schweden nutzten daher einen Service des Skatteverket (Finanzamt) und segnen die von der Behörde vorgegebene Steuerklärung einfach per SMS ab.
Diese Einfachheit hat nichts mit dem Bierdeckel-Gassenhauer von Friedrich Merz zu tun. (Wer erinnert sich überhaupt noch daran?) Stattdessen bedient sich die staatliche Behörde der Daten ihrer Bürger, bei Banken und Versicherungen. Weil sie es kann. Und weil jeder Schwede sie lässt. Doch es gibt Zweifel, ob dieses Modell nicht langsam außer Mode gerät.
Seit 1776 ist in der schwedischen Verfassung ein Grundrecht verankert, das offentlighetsprincip. Demnach hat jeder Schwede das Recht, in öffentliche Akten Einsicht zu erhalten. Das soll Vieles verbessern, Vertrauen in den Fiskus, die Politik und die Behörden erzeugen. Aber es erlaubt nicht nur, Anfragen an Ministerien und Ämter zu stellen, um deren Entscheidungen nachvollziehen zu können. Es beeinflusst auch das Zusammenleben der schwedischen Bürger.
Die umgekehrte Steuererklärung
Die Steuerklärung funktioniert nämlich auch umgekehrt: als Steuersuche. So kann jeder Schwede im Netz auf ratsit.se oder per App die Finanzen seines Nachbarn prüfen, das Eingeben des Namens genügt, schon sieht man, wo sich die betreffende Person im löneranking (Lohnranking) befindet. Gleich dazu ausgespuckt werden: Adresse und Geburtsdatum. Ratsit ist aber ein privates Unternehmen und profitiert von den Angaben aus dem jährlichen taxeringskalender (Steuerkalender) der Behörden. Der enthält seit 1903 alle Steuerangaben der Schweden aus der Umgebung. Wie ein Telefonbuch. Nur, dass die Ziffern keine Nummern, sondern Summen sind.
Svenskar är naiva på sociala medier
Das klingt ebenso unglaublich? Zumindest bis man versteht, dass die Denkweise offener Daten den Schweden in Fleisch und Blut übergegangen ist. Dieser Umgang bekommt nun allerdings ein Problem: Und das heißt Internet. Svenskar är naiva på sociala medier (Schweden sind naiv in den sozialen Medien) kommentierte Joacim Hillervik die Gutmütigkeit, die Schweden auch den Instanzen gegenüber an den Tag legen, die nicht in der schwedischen Gesellschaft verankert sind: Facebook und Google beispielsweise.
In Schweden wird Datenschutz aufgrund der gesellschaftlichen Vorprägung ganz anders verstanden als beispielsweise in Deutschland. Schweden vertrauen darauf, dass mit ihren Informationen nichts Unlauteres geschieht. Es ist ein positives Menschenbild, was hier zum Ausdruck kommt.
Ein positives Menschenbild kommt zum Ausdruck
Doch spätestens Edward Snowdens Aufdecken der omnipräsenten Überwachung durch Prism und andere Programme des Schreckens könnte in Schweden ein Umdenken auslösen. Es wird immer deutlicher: Vielleicht muss sich der schwedische Umgang mit Daten ändern, wenn man sie nicht der gesamten Welt preisgeben will.
Denn das offentlighetsprincip basiert auch auf einem positiven Staats- und Gesellschaftsbild: Schweden vertrauen auch darauf, dass ihre Steuern und Daten vertraulich behandelt werden – und durch den Staat nur zum Guten genutzt. Doch die Zugänglichkeit dieser Daten macht es möglich, sie für alle erdenklichen Zwecke zu missbrauchen.
- Dass es darunter auch üble Absichten gibt, wussten die Schweden vermutlich schon.
- Dass sie sich diesen über das Internet aber immer leichter und globaler aussetzen, müssen sich noch viele bewusst machen.
- Was sie aber lange nicht verstehen wollen, ist, dass sich ein anderer Staat ebenfalls dieser Daten bedient.
Vielleicht funktioniert so eine Idee wie vom Öffentlichkeitsprinzip nur in kleinen Gesellschaften, die sich leicht überblicken lassen – und wo die Anonymität nicht so leicht ausgenutzt werden kann. Vielleicht sollten wir uns aus diesem Beispiel aber zumindest das ‚positive Menschenbild’ herausnehmen und fragen: Was ist eigentlich wirklich außer Mode gekommen?
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