Wie der tragische Brandunfall im Süden Brasiliens in den sozialen Netzwerken Widerhall fand.
Am 27. Januar wurde Brasilien von einer Tragödie erschüttert. Der Tod von über 230 Jugendlichen durch einen Brand in einem Nachtclub in Santa Maria wurde schnell zur Nachricht in aller Welt. In Bulgarien, mit vier Stunden Zeitverschiebung, habe ich vielleicht zu den ersten Brasilianern gehört, die an dem dunklen Sonntagmorgen von dem furchtbaren Geschehen erfuhren – über Facebook.
Der erste Post mit Verlinkung zum Artikel eines grossen Medienunternehmens war für eine Weile noch der einzige auf der Pinnwand. Perplex sah ich wie in kurzer Zeit mehrere Medien darüber berichteten. Betroffen, wie mit den häufigeren Updates auch die Opferzahl immer höher wurde. Es muss gegen Mittag in Bulgarien gewesen sein (etwa 8 Uhr morgens in Brasilien), als plötzlich das Netzwerk von Trauer und Schock überflutet wurde. Brasilien war erwacht. Und es begann einer der traurigsten Tage unserer Geschichte.
Es fällt schwer, selbst nach einem Monat, das Ereignis von einem anderem Blickwinkel zu sehen, wenn nicht dem des schmerzhaften Verlusts. Doch für jemanden, der alles machtlos nur aus der Ferne mitbekommen konnte, zeigten sich die sozialen Netzwerken als wichtige Akteure der gemeinsamen Verarbeitung dieses Unglücks – und hier vielleicht einer Reflexion Wert.
Polemische Berichterstattung
Noch am selben unglücklichen Tag war online zu lesen, wie ein Mädchen kurz vor ihrem Tod von dem Nachtclub aus über Facebook um Hilfe bat. Ihr Post, die Kommentare von Freunden, sowie die Bestätigung ihres Todes über das Facebook Profil ihrer Mutter wurden von verschiedenen Nachrichten Portalen publiziert. Persönlich, war ich von der morbiden Veröffentlichung geschockt. Journalistisch konnte ich aber den Zeugenwert des Hilfeschreis nicht ignorieren. Doch mehr als die herkömmliche Diskussion wo Journalismus endet und wo Sensationalismus beginnt, blieb für mich die Frage wo, in solch einem Unglück, und in Social Media Zeiten, die Privatsphäre der Opfer und das Interesse der Öffentlichkeit aneinander grenzen.
Estadão, eine der wichtigsten Zeitungen Brasiliens, musste sich auch mit dem Thema auseinandersetzen. Im Laufe des Tages schrieb die Zeitung Folgendes auf ihre Facebookseite: “Die erste Liste von identifizierten Opfern wurde veröffentlicht. Es sind 141 Menschen. Alle unsere Reporter, sowohl in São Paulo als in Rio Grande do Sul, sind darin engagiert eine grosse Berichterstattung für unsere online und print Editionen zu machen. Wenn Sie das Facebook Profil von einem der unten genannten Namen kennen, bitte hinterlassen Sie den entsprechenden Link im Kommentarfeld. Vielen Dank”. Der Post weckte große Polemik unter den Lesern. Der erste Kommentar “Wozu sollen wir den Link hinterlassen?” bekam 146 Likes innerhalb von vier Minuten. Die Antwort der Zeitung dagegen, – “Für unser einziges Ziel in der Gesellschaft: Reportage”- erhielt nur 21. Die kritischen und empörten Äußerungen wurden zahlreicher und Estadão löschte nach einigen Minuten den Post.
Engagierte Hilfe
Doch auch einheitlich positive Beiträge wurden durch die soziale Netzwerken ermöglicht. Am gleichen Tag entstand die Bürgerinitiative “Somos Todos Santa Maria” (Wir sind alle Santa Maria). Eine unter dem Namen auf Google Docs hergestellte Datei diente als Datenbank für Menschen, die Hilfe anbieten wollten. Hauptsächlich nach Unterkunft in Porto Alegre (die Hauptstadt von Rio Grande do Sul) für Familienmitglieder der Verletzten wurde gefragt, da sich dort die besten Krankenhäuser des Bundeslands befinden. Schnell wurden auch Aufforderungen zur Blutspende auf Facebook geteilt, sowie Hinweise, die Umgebung von Krankenhäuser und das Parken in Porto Alegre zu vermeiden, um dem Krankenwagenverkehr und der Notlandung von Hubschraubern nicht im Weg zu stehen. Hier zeigte sich das immer wieder in der Theorie akklamierte Potential einer vernetzten Community praktisch und deutlich. Denn wenn man überhaupt von etwas Gutem in solch einem unglücklichen Ereignis sprechen kann, dann war es das Engagement der brasilianischen Gemeinschaft, in der rührenden Bemühung den Schmerz der Opferfamilien zu mindern.
Lektorat: Victoria Scherff