Kuratieren ist das gekonnte Aufarbeiten von Webinhalten. Dass dies nicht nur im Journalismus, sondern auch für die PR gilt, beweisen die „Curators of Sweden“. Der „weltweit demokratischste Twitter-Account“ vertritt eine ganze Nation im Netz.
Wenn man die Endlosigkeit des Internets mit einem negativen Wort beschreiben sollte, wäre es: Unübersichtlichkeit. Doch die enorme Fülle an Informationen, durch die sich der Einzelne nur schwer hindurchwühlen kann, ermöglicht auch neue Chancen. Von der Agentur Volontaire wurde in Zusammenarbeit mit Svenska Insitutet (das schwedische Pendant zum deutschen Goethe-Institut) und der staatlichen Tourismusvereinigung visitsweden eine interessante Möglichkeit, diese zu kuratieren, erschaffen.
„Curators of Sweden“ nennt sich das Projekt, das sich gleichzeitig als „demokratischsten Twitter-Account“ beschreibt. Das Konzept: Eine Schwedin oder ein Schwede vertritt sein Land jeweils für eine Woche, durch die Verwaltung von @sweden. Ob und wie diese/r twittert bzw. kuratiert, ist ihm selbst überlassen – mit der Wahl des Vertreters geben die beiden Institutionen jegliche Kompetenzen ab.
Die „Curators of Sweden“ haben mächtig Erfolg
Das Projekt hat Vorbilder – wurde nicht völlig ohne Vorgeschichte aus der Taufe gehoben. Schon andere Städte und Länder hatten Vertretungen in Twitter wie beispielsweise Leeds und Australien. Doch diese wurden privat organisiert und waren damit keine offizielle Repräsentanz. Die 2011 ins Leben gerufenen „Curators of Sweden“ gehen einen Schritt weiter – und haben, den Zahlen nach zu urteilen, mächtig Erfolg.
Über 65.000 Follower hat der Account mittlerweile. Im Vergleich zum Start im Dezember 2011 ist das eine Steigerung von achthundert Prozent. Der stärkste Anstieg fand dabei in der Woche von Sonja Abrahamsson statt. Doch nicht von ungefähr: In diese Zeit fällt auch das größte Politikum des ambitionierten Unterfangens.
„Juden“ und „Brüste“ als Schlagwörter – freie Meinungsäußerung?
Denn Sonja Abrahamsson reizte die Toleranz des Projektes, und damit auch der schwedischen Gesellschaft größtmöglich aus. Sie postete beispielsweise über Juden und ihre Brüste, mit grenzwertigem Inhalt. Eine genaue (politische) Einordnung dieser „Botschaften“ war nicht möglich, es wurden lediglich provozierende Schlagwörter aneinandergereiht. Vorarlberg Online interpretierte dies später, als habe sie nur die Grenzen der Meinungsfreiheit testen wollen. Doch ist dieser Account dafür gemacht?
Ein anderer Nutzer aus dem IT-Business, Joakim Jardenberg, hatte sich vorgenommen, seinen Berufszweig, sein eigenes Interesse mehr in den Vordergrund zu rücken. Aber dann wurde Prinzessin Estelle in seiner Woche geboren. Es blieb keine Zeit mehr für andere Themen. Das zeigt vor allem: In gewisser Weise ist es auch ein Amt mit Pflichten und Würden, das die Nutzer übernehmen. Denn sie repräsentieren ihr Land in der Öffentlichkeit: Vielleicht kein Raum für politische Spielerein also.
„Demokratischster Twitter-Account“ nennt sich das Projekt: Freilich ist der Demokratiebegriff darauf beschränkt, dass sich theoretisch jede Schwedin oder jeder Schwede vorschlagen lassen kann. Die Entscheidung, wer nun kuratiert, liegt allerdings nicht beim Volk, sondern beim Svenska Institutet und visitsweden. Umso interessanter wird sein, weiterzuverfolgen, wie sich dieses Projekt entwickelt.
Denn obwohl das Projekt zahlreiche Preise eingeheimst hat; wie zum Beispiel die Clio Awards oder den Cyber-Grand Prix beim Cannes Lions International Festival for Creativity, herrscht auch Unsicherheit: Wird Sonja Abrahamsson ein Einzelfall bleiben oder werden mehr diese Position zur Selbstdarstellung nutzen? Denn eines wird bei den „Curators of Sweden“ sicherlich deutlich: Auch einen Twitter-Account managen und kuratieren ist eine Meinungsäußerung. Die Meinung muss dafür nicht von einem selbst formuliert werden.
Ich leite mal einen Twitter-Kommentar an dich weiter:
Patrick Breitenbach @breitenbach
Schwedens „demokratische“ PR https://dietrendblogger.de/schwedens-demokratische-pr/ … via @DieTrendblogger (via @m_schoenherr) gibt es auch für D -> http://iamgermany.wordpress.com/
Finde ich heftig, dass so etwas funktioniert. Muss ich gleich mal an meine schwedischen Bekannten weiterleiten 😉
Niklas, hättest Du mal Lust, ein Interview mit den Leuten von @sweden zu machen?
Meinst Du die, die dort jeweils posten, oder die Organisatoren?
Die Organisatoren…
Spannender Artikel in der NYTimes über den Account: http://www.nytimes.com/2012/06/11/world/europe/many-voices-of-sweden-via-twitter.html
Wow. Interessantes Projekt und guter Artikel! big up Niklas