Stockholm,
Trendblogger-Jahrgang 2012/2013 Schweden steht für endlose Wälder und Seen; die Natur bestimmt dieses Land. Gleichzeitig gilt es als eines der innovativsten und offensten im Bereich der Technik und Neuer Medien. Wer kennt oder nutzt nicht Skype oder Spotify? Wie das zusammenpasst, möchte ich in meinem Auslandssemester in Stockholm gerne herausfinden - und meine Erfahrungen mit euch teilen.


Memento mori, Memoto

Kleiner Kasten – großer Effekt: Die Memoto-Kamera knippst bei Wunsch alle dreißig Sekunden. - Bild: Memoto

Kleiner Kasten – großer Effekt: Die Memoto-Kamera knippst bei Wunsch alle dreißig Sekunden.
– Bild: Memoto

Das Quantified Self erfasst sein Leben statistisch. Diesen Trend übertrifft nur noch das Lifelogging. Dabei wird das gesamte Leben aufgezeichnet. Was wie ein typisches Phänomen unserer Zeit wirkt, stößt an moralische Grenzen. Die werden deutlich an der schwedischen Kamera Memoto.

Mit einem schrillen Ton reißt mich der Wecker morgens aus dem Schlaf. Verpennt drehe ich mich noch einmal um, taste mit dem langen Arm nach dem Gerät, um das nervige Geräusch auszustellen – und schaue direkt in eine Memoto-Kamera… Klick.

Was sich wie eine Szene aus 1984 oder Big Brother anhört, haben andere zu ihrer Lebenseinstellung gemacht: Beim Lifelogging archiviert man möglichst viele Bilder, Eindrücke und Videos seines Alltags, um nachher ein Projekt-„Selbst“ zu kreieren. Die Memoto-Kamera soll dabei helfen, indem sie bis zu zwei Mal pro Minute ein Bild knippst. Per Crowdfounding wurde das von einem schwedischen Unternehmen entworfene Gerät finanziert und soll in den nächsten Monaten auf den Markt kommen. Vorzubestellen ist es bereits.

Das schwedische Memoto-Entwicklerteam - Photo: Memoto

Das schwedische Memoto-Entwicklerteam
– Photo: Memoto

Der sympathische Helfer starrt mich in der U-Bahn an

Das kleine Helferchen kommt dabei sympathisch daher: In den Farben orange, graphit und weiß kann der nur wenige Zentimeter große Klotz, der unweigerlich an einen Ipod Shuffle erinnert, an einer Kette um den Hals gehängt oder an die Jacke geklippt werden. Doch können die praktischen technischen Vorteile meine Bedenken nicht einmal ansatzweise ausräumen.

Wie reagiere ich, wenn jemand mit einem Memoto-Apparat vor der Brust mir in der U-Bahn gegenüber sitzt? Bitte ich ihn höflich, sein Gerät auf sich selbst zu richten? Kann ich einfach so seine Lebenshaltung kritisieren? Rein rechtlich habe ich erst dann sicheren Anspruch auf das sogenannte „Recht am eigenen Bild“, wenn der Memoto-Nutzer mein Photo auch veröffentlichen will. Doch moralisch habe ich es schon jetzt.

Memoto leistet keinen Dienst an der Gesellschaft

Denn ich möchte selbst darüber entscheiden können, wer Bilder von mir macht und sie sich anschaut. Das Recht auf Persönlichkeit ist elementar, um ein Individuum zu schützen. Ich möchte geschützt werden. Wer einwendet, dass ich in der U-Bahn auch von der Überwachungskamera täglich gefilmt werde, dem entgegne ich, dass es dort aus Sicherheitszwecken geschieht – oder zumindest geschehen sollte. Zum Dienst an der Gesellschaft. Memoto tut das nicht.

Früher schrieb man seine Autobiographie, heute gilt: lifelogging. - Photo: Memoto

Früher schrieb man seine Autobiographie, heute gilt: lifelogging.
– Photo: Memoto

Die Kamera ist nicht Ausdruck, aber verwandt mit dem immer größer werdenden Kult der Selbstpräsentation. Facebook-Profilbilder sind für manche wichtiger als die Nachrichten, die sie im Sozialen Netz schreiben. Blogs zur Selbstdarstellung überfluten das Netz, Heranwachsende stellen Videos von sich auf Youtube, die sie schon in wenigen Jahren als hochgradig peinlich empfinden werden. Und sie werden verfluchen, dass das Internet nicht vergisst.

Sich wie einen Gott inszenieren, muss kein Mensch“

Wer Memoto in eingeschränktem Rahmen nutzen möchte, hat meine volle Unterstützung. Eine Kleinstkamera, mit der man spektakuläre Szenen seines Lebens festhalten kann, ist sicherlich ein praktisches Tool. Und auch, wer sein eigenes Leben beobachten möchte, darf das gerne bis zu dem Punkt tun, wo er in die Privatsphäre anderer eindringt.

Doch sich wie einen Gott inszenieren, muss kein Mensch. Jedes Gegenüber im Leben photographisch festhalten auch nicht. Wenn die Inszenierung ein Maß überschreitet, hat der technische Fortschritt versagt, weil er den Menschen gefährdet. Memento mori, Memoto.

 

Weiterführende Links:

Schwedischer Bisonblog über die Vor- und Nachteile der Kamera

The Next Web diskutiert das Problem der Privatssphäre mit Memoto-CEO Martin Källström

Arctic Startup berichtet über eine eigens in der Memoto-PR-Kampagne veröffentlichte Dokumentation über Lifelogging

Schaubild der Entwickler, wie Memoto funktioniert

Schwedischer Medienblog The Jennie über den anstehenden Start von Memoto

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