Der NSA-Skandal um Edward Snowden hat uns bewusst gemacht, wie sehr wir im Alltag überwacht werden. In Deutschland entfaltete sich daraufhin eine Debatte, die zwischen Hysterie und Gleichgültigkeit oszillierte. Doch wie sehen andere Länder die Totalüberwachung? In Portugal zeigt sich ein ambivalentes Verhältnis zur Privatsphäre.
„Zur Kenntnis genommen – und abgehakt“. So beschreibt mein Mitbewohner die Debatte zum NSA-Skandal in Portugal. Eine Woche lang hätte das Land über die Enthüllungen von Edward Snowden diskutiert, dann sei das Thema wieder in Vergessenheit geraten. Einerseits verständlich – die Portugiesen haben noch immer mit den Folgen der Wirtschaftskrise zu kämpfen; der eigene Arbeitsplatz erscheint kurzfristig wichtiger als das Abschöpfen von Metadaten durch den US-Geheimdienst NSA oder das britische Pendant GCHQ.
Andererseits auch überraschend – die Portugiesen haben ansonsten ein relativ intimes Verhältnis zur Privatsphäre. Zumindest ist das mein Eindruck nach zwei Monaten in diesem Land. Treffen mit Freunden finden grundsätzlich in Bars oder Cafés statt; gemütliches Trinken zu Hause – Fehlanzeige! In die eigene Wohnung lassen die Portugiesen kaum jemanden; Google, Facebook und WhatsApp aber haben sie im Bett. Auf Nachfrage äußern zwar fast alle Bedenken wegen der Überwachung; groß genug, um sich nach Alternativen umzusehen, sind diese jedoch nicht. Und die ältere Generation kann die Aufregung gleich gar nicht verstehen. #Neuland lässt grüßen!
Angst vor der sozialen Isolation
Die größte Angst haben die Portugiesen vor dem Missbrauch ihrer Daten durch (potenzielle) Arbeitsgeber. Die deutsche Furcht vor einem autoritären oder totalitären Staat, der die Datenmasse nutzen könnte, um die eigenen Bürger zu kontrollieren oder zu unterdrücken, können die Meisten hier nicht nachvollziehen. Die beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert haben wohl zu einer größeren Sensibilität in Sachen Überwachung geführt als der Salazar-Faschismus in Portugal.
Ein weiterer Grund für die relative Gleichgültigkeit vieler Portugiesen gegenüber der amerikanischen und britischen Spionage, könnte sein, dass das Land in einem deutlich geringeren Ausmaß von der Überwachung betroffen ist. Während Deutschland in Europa das am meisten abgehörte Land ist, scheint sich die NSA vergleichsweise wenig für Portugal zu interessieren, wie Geheimdienstberichte nahelegen. Auch die portugiesische Politik hält sich bedeckt und kooperiert im Zweifelsfall mit den USA, so geschehen, als man dem bolivianischen Präsidenten Evo Morales zwölf Stunden lang den Überflug verwehrte, da man Edward Snowden an Bord des Flugzeugs vermutete.
Grundsätzlich gilt in Portugal, wie auch in Deutschland: Ein Bewusstsein zur Problematik der Überwachung existiert, vor allem unter den jungen Menschen. Aber die Überwachung ist zu abstrakt, zu technisch, um wirkliches Unbehagen auszulösen. Viel größer ist die Angst vor sozialer Isolation, sollte man Dienste wie Facebook verlassen müssen. Man kann nur hoffen, dass sich diese Haltung nicht eines Tages rächen wird!
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Fotos: Screenshot theguardian.com; Screenshot djzimmie.com
Angst vor der sozialen Isolation oder „Zur Kenntnis genommen – und abgehakt“.????
Die Überwachung zur Kenntnis genommen, aber keine Konsequenzen gezogen (e.g. Facebook verlassen) aus Angst vor sozialer Isolation.
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