Als achtes Land weltweit führte Portugal 2010 die gleichgeschlechtliche Ehe ein, nur einige Jahre nach liberalen Ländern wie Schweden und den Niederlanden. Deutschland ist diesen Schritt bis heute nicht gegangen – trotz großer Zustimmung in der Bevölkerung. Dennoch ist Homophobie in Portugal weiterhin ein Problem, auch in den Medien.
Es war eine große Überraschung, als Portugal im Januar 2010 die Ehe für gleichgeschlechtliche Lebenspartner einführte. Ausgerechnet Portugal! Ein konservatives Land mit 95% Katholiken, in dem die Kirche großen Einfluss auf die Politik hat. Fünf Jahre zuvor hatte das Nachbarland Spanien schon diesen Weg eingeschlagen.
Beide Länder haben eines gemeinsam: Eine Diktatur, die weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hineinreichte. In Spanien war Franco bis 1975 an der Macht, die Salazar-Herrschaft endete ein Jahr zuvor. In Portugal war Homosexualität bis 1982 illegal, während der Diktatur wurden Lesben und Schwule verfolgt und eingesperrt. Heute haben beide Länder mit die strengsten Gesetze weltweit gegen sexuelle Diskriminierung.
Was auf den ersten Blick paradox erscheint, ist für Experten kein Widerspruch. „Wo immer man die größte Unterdrückung findet, gibt es auch den größten Widerstand“, meint Renato Sabbadini, Vorsitzender des Internationalen Verbandes der Lesben und Schwulen (ILGA). Deshalb vollzog sich der politische Wandel nach dem Ende der Diktatur schneller als in vielen moderaten europäischen Ländern, darunter Deutschland. Hinzu kommt, dass es in Portugal nach der Diktatur ein großes Bedürfnis der Wiedergutmachung gab.
Die Herausforderungen der Zukunft
„Wir sind am Beginn einer neuen Ära“, sagt Paulo Corte Real von Famílias Arco Íris, eine portugiesische Organisation, die sich für die Rechte von Homo-, Bi-, Trans- und Intersexuellen einsetzt. Es seien in den letzten Jahren viele Fortschritte gemacht worden. So waren 2006 nur 30% der Bürger für die Homo-Ehe, 2010 war die Zahl immerhin auf 43% gestiegen. Weiterhin dürfen jedoch verheiratete homosexuelle Paare keine Kinder adoptieren. „Wir müssen es schaffen, ein größeres Bewusstsein für diese Themen zu erreichen“, findet Corte Real.
Im Wege stehen könnte ihnen dabei die latente und offene Homophobie in Teilen der portugiesischen Gesellschaft, die Kirche, aber auch einige Medien. Neben offener Ablehnung weiterer politischer Maßnahmen zur Besserstellung von Homosexuellen findet sich in einigen Zeitungen auch subtile Homophobie. In einem Artikel der Diário de Coimbra mit dem Titel „Homosexueller, der mit einer Axt bedroht wurde, beschwert sich über Homophobie“, wird Homophobie als gesamt-gesellschaftliches Problem kein einziges Mal erwähnt, der Fall wird isoliert betrachtet und Opfer- und Täterrolle verschwimmen durch das Verb „beschweren“ auf gefährliche Weise.
Lesben-Küsse und die neue Homophobie
Überhaupt könnte man sagen, dass die neue Homophobie darin besteht, so zu tun, als ob es keine Homophobie mehr gäbe. Die Negierung eines Problems löst dieses aber nicht, sondern bremst weiteren gesellschaftlichen Fortschritt. Die konservative Diário de Notícias schreibt in einem Artikel, dass durch verschiedene portugiesische TV-Serien „das alte homosexuelle Tabu heute das ‚neue Normal’“ sei. Dabei wird so getan, als könnte eine Hand voll Fernsehserien in ein paar Jahren sämtliche Probleme überwinden, über die in den Jahrzehnten zuvor erbittert politisch gestritten wurde.
Dabei wird ignoriert, dass nur in etwa drei Prozent der portugiesischen Serien gleichgeschlechtliche Liebe thematisiert wird, in den meisten Fällen auf die gängigen Stereotype reduziert. Zudem spiegeln fiktive Inhalte nicht zwangsläufig die gesellschaftliche und politische Realität wider. Denn wäre Homosexualität in Portugal wirklich das „neue Normal“, würde dann dieselbe Tageszeitung in einem Artikel verkünden, dass es in einer portugiesischen Telenovela in der kommenden Woche einen „Lesben-Kuss“ geben wird? Wohl eher nicht.
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Fotos: Diário de Notícias, Wikipedia
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