Das Recht auf Meinungsfreiheit ist ein über die Jahrhunderte hart erkämpftes Gut und besonders in sozialen Netzwerken berufen sich viele Nutzer darauf. Die Frage ist: Wo hört das Recht auf Meinungsfreiheit auf, wo beginnen Rassismus, Sexismus etc. und welche Verantwortung haben Twitter, Facebook und Co., den Inhalt ihrer User zu moderieren? In Frankreich ist Twitter bereits angeklagt, aufgrund eines rassistisch motivierten Hashtags, der im Herbst 2012 auf der Plattform kursierte.
Der Hashtag #unbonjuif und die Klage
Unter dem Hastag #unbonjuif („ein guter Jude“) kursierten im Oktober 2012 etliche antisemitische Tweets und Witzeleien. An einem Wochenende schaffte es der Hashtag unter die trending topics. Daraufhin beschwerte sich der Verband jüdischer Studenten in Frankreich (UEJF – Union des étudiants juifs de France) bei Twitter und verlangte die Herausgabe der Namen der Verantwortlichen sowie die Löschung der entsprechenden Tweets. Einige Tweets wurden von Twitter Frankreich gesperrt. Dem Verband reichte das nicht. Gegen Twitter Frankreich wurde im November 2012 Klage eingereicht.
Können antisemitische Tweets strafrechtlich verfolgt werden?
Kurz und knapp: In Frankreich wäre das möglich. Warum es einen derartigen Prozess bisher in Frankreich noch nicht gab, fragte sich auch Delphine Dyèvre, Journalistin für Slate.fr. Eines hält sie fest: Das Fehlen eines Prozesses ist sicherlich nicht mit einem Mangel an Rassismus in Frankreich zu begründen. Delphine Dyèvres Antwort:
Es erstattet einfach niemand Anzeige. In Frankreich sind die juristischen Voraussetzungen zum Kampf gegen Rassismus im Internet gegeben. Im Fall von Diffamierung und Beleidigung (rassistisch oder nicht) braucht es eine Anzeige, bevor die Untersuchung automatisch eingeleitet werden kann.
Nicht direkt betroffene Personen dürften zudem keine Anzeige erstatten. Im Konflikt zwischen Twitter und dem UEJF verurteilte ein französisches Gericht den Konzern am 24.Januar 2013 zur Herausgabe der Nutzerdaten der für den Hashtag Verantwortlichen. Nachdem Twitter dem Urteil nicht Folge leistete, verklagte der UEJF den Konzern Mitte März in Paris auf 38,5 Millionen Euro. Auch wenn die strafrechtliche Verfolgung antisemitischer Äußerungen im Internet in Frankreich theoretisch möglich ist, ergeben sich doch zahlreiche Probleme. Das Internet ist schließlich kein Ort, in dem nur nationales Recht greift. Twitter besitzt in Frankreich keinerlei Büros und beruft sich mit seiner Aktivität auf amerikanisches Recht, das die Meinungsfreiheit noch wesentlich liberaler auffasst, als viele europäische Länder. Die französischen Behörden sind notfalls auf die Kooperationsbereitschaft ihrer amerikanischen Kollegen angewiesen. Zudem gibt es Uneinigkeit über den Status der sozialen Netzwerke: Ist Facebook ein privater Ort, solange ich meine Meinung nur unter meinen Freunden verbreite? Reicht ein privater Twitteraccount aus, um eine Aussage nicht im öffentlichen Raum zu äußern.
Inwieweit sind Twitter, Facebook und Co. verantwortlich für den Inhalt, den ihre User verbreiten?
Solange diese Frage juristisch nicht eindeutig zu klären ist, gibt es doch eine ethische Verantwortung – sowohl der Unternehmen als auch der Nutzer. Twitter kann etwas unternehmen gegen antisemitische oder sexistische Hashtags, die in den trending topics erscheinen. Wenn Facebook keinerlei Initiative zeigt, müssen Großunternehmen wie Dove oder Easyjet tätig werden, sobald die von ihnen geschaltete Facebook-Werbung auf Seiten gezeigt wird, die Vergewaltigung und häusliche Gewalt glorifizieren und rechtfertigen. Auch die User können sich positionieren wie im Falle eines rassistischen Hashtags, der vor wenigen Tagen in den französischen Timelines im Umlauf war: Welche Art von Tweets sich hinter dem Hashtag #Lhommenoirestinferieurcar („Schwarze sind minderwertig, weil..“) versammeln, muss ich wohl nicht weiter erläutern. In ihrem Artikel schreibt Elise Delève, Journalistin für France Info, rassistische Tweets mit diesem Hashtag seien sofort durch eine Masse an Gegen-Tweets „neutralisiert“ worden. Es habe eine Auto-Regulierung durch die Nutzer stattgefunden.
Unsinn! Rassistische Tweets lassen sich nicht einfach neutralisieren – das Engagement der Nutzer in allen Ehren. Ich empfehle, „hate speech“ von Judith Butler zu lesen.
Ein wenig Inspiration zum Schluss
Dieser Artikel könnte noch Seiten füllen. Am Schluss gibt es noch ein paar Beispiele, wie man mit Hass, Rassismus, Sexismus in sozialen Netzwerken umgehen kann. Logan James sucht beispielsweise nach Tweets, die den Satz “I’m not racist, but…” beinhalten und retweet diese mit seinem Account @Yes,You’re Racist, da sich hinter einer solchen Phrase meist besonders viel Rassismus verbirgt. Auf dem Blog hatr.org werden beleidigende und diskriminierende Kommentare gesammelt (Achtung Triggerwarnung!), die Blogger auf ihren Seiten nicht freischalten wollten. Das Blogprojekt zeigt, wie viel Hass vielen engagierten Bloggern entgegengebracht wird und wie man sich dagegen wehren kann: Auf hatr.org wird nicht nur auf Hass aufmerksam gemacht, sondern dieser wird durch geschaltete Werbung in Umsatz verwandelt. Der Erlös wird gespendet. Zum Schluss gibt es noch (wie oben im Artikel zu sehen) die Karte des Projekts “Geography of Hate”, die auf Basis von geokodierten US-Tweets zwischen Juni 2012 und April 2013 erstellt wurde. Die Karte kann gefiltert werden, nach der Verteilung von Tweets mit rassistischen, homophoben und behindertenfeindlichen Inhalten.
Ich erwarte für die Zukunft ein verantwortliches Auftreten von den Betreibern sozialer Netzwerke. Die letzten drei Beispiele zeigen, dass auch User aktiv werden können. Jegliche Form von Diskriminierung sollte verhindert werden – auch im Internet.