Auch in Belgien fragen sich Presseverlage, Tageszeitungen und Journalisten, wie es um ihre Zukunft bestimmt ist in der „ère numerique“, dem digitalen Zeitalter. Die Diskussionen drehen sich um das Selbstverständnis des Journalismus, Geldprobleme und den Umgang mit dem Internet. Begleitet wird die Debatte von einer Protestwelle freier Journalisten.
Viele Fragen, Frust und wenige Antworten. Über die Zukunft des belgischen Journalismus oder: Wie eine Branche langsam erwacht.
In Zeiten des schnellen Informationsflusses im Internet und im „Konkurrenzkampf“ um die frischesten News sind sich die belgischen Tagesblätter einig: nicht das Tempo, sondern der Inhalt bestimmen über die Zukunft des Journalismus. „Die Interpretation ist entscheidend“, so Valerie Droeven von der flämischen Tageszeitung De Staandard, „Neuigkeiten werden heute ohnehin sehr schnell verbreitet. Unsere Aufgabe ist es, diese zu analysieren und unseren Lesern ihre Bedeutung zu erklären.“
Die Frage nach dem neuen Selbstverständnis des Journalismus
Neben großen Pressegruppen und Tageszeitungen, beschäftigen sich auch viele Journalisten und Blogs mit dem neuen Selbstverständnis des Journalismus sowie dem Umgang mit neuen Medien. Einige Beispiele…
Nicolas Becquet (von L`Echo) thematisiert in seinem Blog neue Technologien und Einsatzmöglichkeiten für den Journalismus. Eine weitere interessante Perspektive findet sich auf Molenews: Hier werden mediale Praktiken und insbesondere aktuelle Entwicklungen des Journalismus beleuchtet. Auf Davanac schreibt und lehrt Damien Van Achter über multimediale Aktivitäten im Journalismus- sehr interessant!
Im Umgang mit dem Internet und der Frage, wie viel Onlineangebot richtig ist ohne Selbstdemontage zu betreiben, gehen belgische Tageszeitungen unterschiedlich um.
„Keine Krisen-Stimmung in Flandern“
„Keine Krisen-Stimmung“ – Das liegt sicherlich daran, dass die Krise noch nicht so spürbar ist. „In Flandern ist die Entwicklung glücklicherweise etwas langsamer als woanders: die Menschen lesen noch gedruckte Zeitungen“, meint Valerie Droeven von De Standaar.
Entgegen des internationalen Trends des Zeitungssterbens, hat die Leseranzahl von De Standaard sogar zugenommen, sowohl im Print- als auch im Online-Bereich. „Wir mögen uns an einem Wendepunkt befinden. Wenn wir uns umschauen, müssen wir uns klar machen: diese günstige Situation wird sich bald ändern.“ Den Dornröschen-Schlaf haben bereits erste Budgetkürzungen gestört: Im vergangenen Jahren mussten Zeitungen in Flandern erhebliche Einbußen in Werbeeinnahmen einstecken, weil Unternehmen verstärkt in Werbemaßnahmen im Fernsehen investierten.
Mit ihrem Online-Angebot gehen flämische Tageszeitungen unterschiedlich um. Während sich das Online-Angebot von De Morgen darauf beschränkt, rohe Fakten zu liefern und hintergründige Analysen seinen Print-Lesern vorbehält, geht De Standaar unbedachtsamer mit seinen Informationen um. Im Onlinebereich findet man so gut wie jedes Print-Angebot wider.
Bei der frankophonen Tageszeitung LeSoir klingen die Töne etwas nüchterner.
„Die Auflagen stimmen, aber die Werbeeinnahmen sind schrecklich“, so Didier Hamann, Chefredakteur von Le Soir.
„Dank unserer Mutter-Firma Rossel-Group können wir es uns leisten, in neue Produkte zu investieren.“ Das 125-jährige Jubiläum der Tageszeitung nimmt man hier zum Anlass, nach Zukunftvisionen zu suchen: Le Soir setzt auf Innovationen und neue Möglichkeiten, die ihr das Internet bieten, statt dem Alten hinterher zu trauern.
So wurde auf lesoir.be bereits eine Paywall eingerichtet, neue Apps für Tablets und Smartphones werden entwickelt… und ab nächsten Monat folgt eine „revolutionäre“ Neuheit in Belgien: eine digitale Tageszeitung aka die „Newstablette“. Damit können Leser die Tageszeitung und Tablet zusammen in einem Paket ab 23€/Monat abonnieren.
Diese Initiativen im Kampf ums Überleben können nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht besonders gut steht um den Journalismus in Belgien. Im nächsten Jahr erwarten Zeitungen wie Le Soir Einsparungen in Millionenhöhe. Betroffen sind davon vor allem freie Journalisten.
Trübe Stimmung unter belgischen Journalisten
Von den Etat-Kürzungen bei großen Zeitungen und Verlagen sind vor allem die Journalisten betroffen. Die Association des Journalistes Professionnels (AJP), ein Verein frankophoner und deutschsprachiger Journalisten in Belgien mit etwa 2500 Mitgliedern, gibt einen Überblick über die durchschnittlichen Tarife. Rund ein Viertel der Journalisten erklärt, dass ihr Gehalt nicht ausreicht zum Leben. Betroffen sind vor allem junge Journalisten. Die Situation für Absolventen ist nicht vielversprechend: jährlich bewerben sich 400 Personen auf knapp 40 verfügbare Stellen.
Eine Protestwelle
Eine große Protestwelle freier Journalisten wurde vor allem durch eine neue Bestimmung bei der Rossel Group ausgelöst. Diese beinhaltet, dass ein Artikel, der für Le Soir geschrieben wird, ohne zusätzliche Erlaubnis und Vergütung auch bei der Wallonischen Presseagentur Sudpresse verwendet werden darf. In zahlreichen Blogs schreiben Journalisten über ihre schlechter werdenden Arbeitsbedingungen. Ein paar Beispiele:
„Pigiste, pas Pigeon!“
Eine Kampagne der AJP gegen die Ausbeutung freier Journalisten mit dem Wortspiel im Namen „Pigiste, pas Pigeon!“ (=Freier Journalist, kein Ausgebeuteter!).
„La Presse Citron“
„Des journalistes pressés comme des citrons“ (=Journalisten- ausgepresst wie Zitronen)
In seinem Blog „La presse citron“ (http://lapressecitron.blogspot.be/) schreibt ein unabhängiger Journalist der Rossel-Media Group (http://www.rossel.be/) über die unwürdigen Arbeitsbedingungen der Freelance-Journalisten in Belgien.
Antworten?
Staatliche Förderungen
Neben unzureichenden staatlichen Förderungen, „aide á la presse“, hat die Wallonische Regierung einen Fond eingerichtet. Der „Fond pour le Journalism“ ist an Journalisten gerichtet und fördert die investigative Berichterstattung mit Geldern.
Crowdfunding
Die Crowdfunding-Plattform AKA Starter ist für journalistische Projekte offen ist. Bisher hat sich jedoch noch kein solches um Förderungen beworben…
Steht es vielleicht noch nicht so schlimm um den Journalismus in Belgien?
Viel Frust- wenige Antworten
Die belgische Medienlandschaft befindet sich aus meiner Sicht noch in einer Art Halbschlaf, wenn es um die Suche nach zukünftigen, alternativen Finanzierungsmöglichkeiten geht. Erste Probleme treten auf und werden erkannt, doch es mangelt noch an Lösungen… mangelt es an Ernstnahme oder vielleicht vielmehr an der Ernsthaftigkeit der Schwierigkeiten des Journalismus in Belgien?
Gibt es in Belgien auch große eigenständige Online-News-Plattformen, die nicht an ein Printmedium gekoppelt sind? Gibt es für diese „reinen“ Online-Plattformen eigene Finanzierungsmodelle?
Ich bin nach langer Sucherei leider nicht fündig geworden! Es ist zu sagen, dass sich meine Recherchen aufgrund der Sprache überwiegend auf Wallonien beziehen. Und die frankophone Medienlandschaft in Belgien (auch die Bloggerlandschaft) ist sehr stark an Frankreich gekoppelt. Wallonien hat eine Bevölkerung von gerade mal 3,5 Millionen… Die mir bekannten Online-Magazine, selbst einige der großen Blogs, in Belgien, sind meistens an Printmedien gekoppelt, z.B. http://geeko.lesoir.be/ oder an bestimmte Interessengruppen, wie z.B. http://www.belgieninfo.net/ – ein deutschsprachiges Magazin, gefördert durch die deutschsprachige Gemeinde! Alle Journalisten arbeiten hier jedoch ehrenamtlich!!