Schweden sagt dem Sexismus im Kino den Kampf an: Seit ein paar Wochen verbannen vier Kinos Filme aus ihrem Programm, die den Bechdel-Text nicht bestehen. Dieser Test misst mit drei simplen Fragen die stereotypische Darstellung der Geschlechter. Das schwedische Filminstitut unterstützt diese Initiative finanziell.
Ich komme gerade aus dem Kino und habe mir das dreistündige neue Spektakel des Altmeisters Scorsese gegeben – „The Wolf of Wall Street“. In diesem Film liefert Scorsese nicht nur eine überladene Bebilderung des Amerikanischen Traums, sondern leider auch ein Stereotyp der männlich-zentrierten, sexistischen Welt der Aktiengauner.
Ich kam aus dem Kino raus und war entsetzt von so viel Sexismus und frauenverachtender Darstellung. Meine eigene Schuld könnte ich da sagen: Wäre ich nicht in die große Kette der schwedischen SF-Multiplexkinos, sondern stattdessen in das kleine alternative „Bio Rio“ in Södermalm gegangen, wäre mir das nicht passiert.
Warum? Das kleine aber sehr feine „Bio Rio“ Kino zeigt seine Ende vergangenem Jahr keine Film mehr, die den Bechdel-Text nicht bestehen. Und für alle, die diesen Test noch nicht kennen, hier ein kurzes Update:
Der Bechdel- Test ist benannt nach ihrer Erfinderin, der amerikanischen Cartoonistin Alison Bechdel. Entwickelt wurde er bereits 1985 und gilt seitdem als ein kleiner Meilenstein, um die Darstellung der Geschlechter in Filmen zu messen. Der Test ist simpel und stellt nur drei Fragen an einen Film:
1) Kommen in dem Film eine oder mehrere Frauen vor, die mit Namen genannt werden?
2) Unterhalten sich diese Frauen miteinander?
3) Unterhalten sich diese Frauen über etwas anderes als Männer?
Drei sehr simple Frage bei denen mensch meinen könnte, dass diese fast zu lächerlich sind, um sie ernsthaft zu stellen. So ungerecht erscheinen sie. Umso schockierender erscheint das Ergebnis: Von den 2500 populärsten Filmen der letzten Jahre bestehen nur etwa die Hälfte aller Filme den Test. Unter den Filmen, die durchfallen, sind auch viele bekannte Kassenschlager: „Avatar“, „The Social Network“, die gesamte „Herr der Ringe“- Trilogie und ja, paradoxerweise sogar der Film „Lola rennt“.
Und so eben auch Hollywoods jüngste Streich „The Wolf of Wall Street“. Ich hatte da ja schon so einen Verdacht. Während diese schrille Nummer-Revue des „Wolf of Wall Street“- Epos so an mir auf der Leinwand vorbeizog, musste ich zwischendurch immer wieder an diesen Test denken. Und tatsächlich: Die ganzen drei Stunden über gab es nicht eine Szene, in der zwei bei ihrem Namen genannte Frauen, ein Gespräch führen, das sich nicht um Männer dreht. Und das obwohl massenweise Frauen vorkommen – aber eben fast ausschließlich als billige Prostituierte.
Im Gegensatz dazu schwingen sich die aufgedrehten männlichen Charaktere von einem Dialog-Feuerwerk zum Anderen und reden dabei selbstverständlich über alles Mögliche, nicht nur über Frauen. Wenn sie dies doch tun, dann meist in herabwertender Weise. Die wenigen Frauen, die im Film vorkommen, bleiben sehr flache Charaktere, die den Männern nur als hübsches Gadget dienen, wenn dafür im Drehbuch gerade Platz ist. Sie werden nur sehr klischeehaft und marginalisiert dargestellt.
Entweder staksen sie als aufgebretzelte Kolleginnen in chicen Chanel-Kostümchen durch die Büros, die nur so von chauvinistischem Verhalten übersprudelnden Männer belagert werden. Oder sie räkeln sich als schlüpfrige Ehefrauen und Betthäschen der ach so erfolgreichen und steinreichen männlichen Finanzjongleure auf dem Bett. Vor allem aber kommen die Frauen in diesem Film nur in besonders einer Rolle vor: Als Prostituierte. Und besonders neben dem Stereotyp vom geldgierigen, kokainschnupfenden, skrupellosen Aktienhändler, der die Frauen nur so benutzt, wie es ihm gerade in den Kram passt, wirkt das besonders degradierend.
Ich habe lange keinen Film mehr gesehen, in dem Frauen so zu (Sex)- Objekten degradiert werden. Vielleicht sollte ich ab jetzt ausschließlich in das „Bio Rio“ Kino gehen und die Betreiber_innen in ihrem Vorhaben unterstützen. Sicherlich stellt der Bechdel-Test nicht die unschlagbare Allzweckwaffe gegen jeglichen Sexismus in Filmen dar. Und zugegebenermaßen ist das „Bio Rio“ ein kleines alternatives Kino, dass Indie-Filme für ein Nischenpublikum zeigt. Robbie Collin vom britischen „Telegraph“ tut die Einführung des Tests für das Kinoprogramm gar ein wenig als hippen Trend der Stockholmer Art-House Szene ab und meint, dass Hollywoods Problem mit weiblichen Charakteren komplexer ist als es der Bechdel-Test erahnen mag.
Obwohl diese Kritik natürlich berechtigt ist, trägt der Bechdel-Test dennoch in einem hohen Maß zu unserer Sensibilisierung für Geschlechterdarstellung in Filmen bei. Denn wo sonst, wenn nicht besonders in der kulturellen Darstellung durch Filme, Theater, Musik oder Kunst, werden gesellschaftliche Realitäten geschaffen und Diskriminierungsverhältnisse reproduziert?
Folgen Sie der Autorin auf Twitter @IsabelLerch
Super Artikel! Schön geschrieben und sehr interessant, wie du diesen theoretischen Test mit deinem praktischem Erlebnis im Kino verbindest. Ich bin mir allerdings unsicher, ob man „The Wolf of Wall Street“ wirklich für seinen Sexismus kritisieren kann. Vielleicht stellt er auch einfach nur die Dinge so da, wie sie an der Wall Street ablaufen oder während dieser Zeit abgelaufen sind. Das kann man auch als gesellschaftliche Kritik verstehen. Ich jedenfalls mochte den Film gerne, gerade auch, weil er diese Art Menschen so gnadenlos porträtiert. Aber natürlich hat jedes Kino das Recht, das anders zu sehen und den Film nicht zu zeigen.
Danke für deinen Kommentar Leo! Ich kann deine Kritik verstehen und finde genau diese Problematik immer so schwierig, wenn ich mich mit alltäglichem Sexismus und sexistischer Darstellung im kulturellen Rahmen beschäftige. Denn ja, natürlich ist die Realität sehr oft sexistisch und Filme versuchen eben oft genau die Realität abzubilden. Das führt bloß dazu, dass diese sexistischen Strukturen auf die große Leinwand projiziert und damit reproduziert werden. Was also tun, um diesem Dilemma zu begegnen? Die „Realität“ einfach idealistisch darstellen und neue Wahrheiten einfach künstlerisch konstruieren? Denn Kunst kann und sollte durchaus utopisch und normativ sein. Sonst kommen wir aus der Denkspirale ja nie heraus.
Ansonsten hat mir der Film auch gefallen, vor allem, weil ich deinen Punkt teile was die Gesellschaftskritik angeht. Doch was das angeht gab es auch große Diskussionen in den USA, denn nicht alle teilen diese Meinung. Die Kritiker_innen bemängeln, dass der Film mit seiner extremen Darstellung nämlich genau das Gegenteil bewirkt und diese Art von Leben glorifiziert. Das kann ich auch verstehen. Es ist sehr schwierig, die Balance zu halten zwischen realitätsgetreuer Darstellung, Überzeichnung und subtiler Gesellschaftskritik zu äußern. In
jedem Fall ist der Film ein Mammutwerk wir ich finde.
Hey Isabel,
Danke für diesen schönen Artikel. Ich habe mich mit dem Bechdel-Test bereits ein wenig zum Start von „Django“ beschäftigt. „The Wolf of Wall Street“ war natürlich hinsichtlich der weiblichen Charaktere wirklich erschreckend sexistisch. Wir wollten im Kino schon ein Trinkspiel anfangen, bei jedem Paar Brüste gibt’s einen Schluck Bier oder so. Wir hatten aber einfach nicht genügend Getränke dabei :p
Zum Thema „Realität Abbilden“:
Sicherlich stellt der Film eine gewisse Realität da. Meiner Meinung nach ist es jedoch eben nur eine männliche Realität. Scorsese hätte seinen Fokus genauso gut auf mindestens einen oder zwei weibliche Charaktere legen können und wir hätten schon wieder eine ganz andere Realität gehabt, in der wir vielleicht erfahren hätten, wie das Leben der Ehefrau denn so aussieht, bevor sie sich abends für ihren Macho-Arsch von Ehemann auf dem Bett räkeln muss.
Eine kleine Anmerkung habe ich noch:
Etwas pingelig, aber im Text finden sich doch noch ein paar Flüchtigkeitsfehler (bsp. Erster Abschnitt „Text“ und „Test“..oder soll das so). Ich weiß nicht, ob ihr das System des gegenseitigen Korrekturlesens beibehalten habt, aber hier musstest du vielleicht noch einmal nachschauen.
Ansonsten alles top (:
Liebe Grüße,
Mareike
Das ist ja wirklich mal spannend und eine ganz neue Entwicklung.
Danke für den Artikel!
Ich freue mich schon auf deine weiteren Berichte aus Schweden
Ganz liebe Grüße