Valencia,
Trendblogger-Jahrgang 2012/2013/2014. In ein Land ziehen, in dem man niemanden kennt, in dem man sich nicht auskennt und dessen Sprache man nur bedingt gut spricht ist eine blöde Idee? Möglicherweise. Habe ich es trotzdem gemacht? Auf jeden Fall! Seit Ende Januar lasse ich mich von Valencia verzaubern und gehe mit besonders offenen Augen und Ohren durch die Straßen, um eine ganz spezielle Kultur zu erleben und gelegentlich auch auf die eine oder andere Außergewöhnlichkeit zu stoßen. Ob ich dabei nur auf siestaliebende Spanier oder bahnbrechende Erneuerungen treffe, kann bei den Trendbloggern nachgelesen werden. Update 01/2014: ... und so schnell ist man dann auch wieder zurück in der Heimat - det dufte Berlin - und siehe da, berichtenswerte "Trends" gibt es überall.


„Ich habe ja nichts zu verbergen“ – oder doch?

Dieser Satz bietet immer wieder Diskussionspotential für Stunden, gerade jetzt, wenn der NSA-Skandal und Artikel über Überwachungsprogramme wie Prism die Titelseiten schmücken. Nachdem sich die Trendblogger in der letzten Redaktionssitzung darauf geeinigt haben, das Thema Cybersecurity und Datenerhebung genauer zu betrachten, bin ich bei der Recherche immer wieder auf den Satz „Ich habe ja nichts zu verbergen“ gestoßen, stets mit verschiedenen Reaktionen. Nationen gehen unterschiedliche mit privaten Daten und Informationen um. Das wurde mir besonders nach meiner Rückkehr nach Deutschland bewusst. Während in Spanien der Korruptionsskandal des ehemaligen Schatzmeisters der PP Bárcenas dominant diskutiert wird, regt man sich in Deutschland auf, dass Merkel sich nicht zum NSA-Skandal äußert. Wirtschaftlich und politisch gesehen sind Datenerhebungen ein gewichtiges Thema mit weitreichenden Auswirkungen, doch man muss gar nicht erst die Meinung von Politikern abwarten oder auf die wirtschaftlichen Konsequenzen schauen, um für sich zu entscheiden, dass man vielleicht nichts zu verbergen hat, aber dennoch vieles, was man nicht preisgeben möchte.

 

Ich bin ein „offenes Buch“ und das ist kein Problem (mehr) …

Vergangenes Wochenende hatte ich viele interessante und vielseitige Diskussionen zum Thema was dürfen, sollen und können andere über mich wissen und was bleibt wohl besser im Geheimen. Gerade zurück aus Valencia habe ich auch noch eine leicht veränderte Ansicht auf Themen wie Privatsphäre oder Dokumenteneinsicht.

Im letzten halben Jahr habe ich der deutschen Organisation meines Leonardo da Vinci-Stipendiums „Arbeit und Leben“ sowie der spanischen Pendantorganisation ESMOVIA meine Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen über einen Auslandsaufenthalt mitgeteilt, zusätzlich zum detailliertem Lebenslauf und einem ausführlichem Motivationsschreiben. In der Sprachschule habe ich Spanisch gelernt, indem ich einer Gruppe wildfremder Menschen erzählen sollte, wie mein perfekter Partner, meine zukünftige Wohnung, der schönste Urlaub etc. aussehen sollte. Ein halbes Jahr lang konnte mein Vermieter „HelloFlatMate“ in meine Wohnung kommen und gehen, wie es ihm beliebte. Die eigentlich Abmachung vorher Bescheid zu sagen, hat nur einmal funktioniert. Es gab keine Schlösser an den Zimmertüren und auch selbst das Schloss im Badezimmer war nicht funktionstüchtig. Gespräche mit spanischen Bekanntschaften begannen meist mit recht privaten Fragen, wie z. B. nach dem Alter, der Familie, dem Partner und wo man wohnt. Die mehr distanzierten Fragen, also vielleicht mehr deutsch, wie z. B. „Was arbeitest du?“ „Was machst du so?“, oder ähnliches gelten, nach meiner Erfahrung, in Spanien eher als privat und werden erst gestellt, wenn man sich besser kennt. Ebenso wird in Spanien stets nach der D.N.I. (Documento Nacional de Identidad) oder N.I.E. (Numero de Identificación de Extranjeros), dem Äquivalent zur Personalausweisnummer, jedoch mit der Funktion einer Personenkennzahl, gefragt. Die Nummer wird ebenfalls für steuerliche Zwecke verwendet und ist somit nicht nur Identifikationsnummer für die Person, sondern auch fürs Einkommen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Steueridentifikationsnummer nichts mit der Personalausweisnummer zu tun hat und lediglich von Finanzbehörden erhoben oder verwendet werden darf. In Spanien ist nicht der Name, sondern die D.N.I. die häufigste Nachweismöglichkeit. Egal ob man eine SIM-Karte bestellt, sich für einen Computerkurs anmeldet oder einfach nur ein Päckchen vom Postboten annimmt.

Sämtliche, mir eigentlich unbekannte, Leute wissen jetzt über meine bisherigen Tätigkeiten, Zukunftswünsche, wie ich wohne und wie viel ich auf dem Konto habe, Bescheid. Auch wenn es Anfangs komisch war, alles über sich zu offenbaren, hat sich mein Leben nicht verändert. Trotzdem bekomme ich eine Krise, wenn jemand auch nur meinen ausführlich geführten Kalender anfässt, denn, ganz nach Truman „Ihr hattet nie eine Kamera in meinem Kopf“.

 

… aber alles werdet ihr nie wissen – Warum man doch immer etwas für sich behalten möchte.

Warum haben wir also ein Problem damit alles von uns zu offenbaren? Ist es vielleicht nur eine anerzogene Intimitätsfrage? Vielleicht ist es aber auch ein natürlicher Instinkt, etwas für sich behalten zu wollen, etwas geheimnisvoll zu bleiben, nicht alles von sich preiszugeben. Deswegen habe man noch lange nichts Gesetzeswidriges oder Schlimmes zu verbergen. Es entspricht der natürlichen Wohlfühlzone – es sind meine E-Mails, es sind meine Computerdaten und es sind meine Artikel, die ich online kaufe. Öffentliche Informationen machen verletzbar, egal ob man ein „Engel“ oder „schlimmer Finger“ ist. Geheimnisse haben eine wichtige positive Funktion (siehe: Nuber, Ursula „Lass mir mein Geheimnis! Warum es gut tut, nicht alles preiszugeben“ sowie: Stangl-Taller. untere Hälfte des Artikels). Es liegt in der menschlichen Natur, auch etwas für sich behalten zu wollen und das sollte auch ohne Probleme akzeptiert werden – und jetzt der Nachsatz: solange es nicht das Leben anderer negativ beeinflusst oder gefährdet. Überwachung darf aber nicht mit Sicherheit verwechselt werden.

 

Wäre es nicht doch schon praktisch, wenn …

Ein Freund sagte mir, er habe nichts dagegen, wenn man von ihm ein Profil erstelle, solange seine Daten nicht kommerziell missbraucht werden würden und hier liegt vielleicht das Problem. Ab wann werden Daten missbraucht, wer kontrolliert das oder wie kann man das verhindern? Nicht das Was weiß wer“ ist das Problematische, sondern das „Was wird mit den Informationen gemacht“.

Manche Menschen schätzen auf sie abgestimmte Werbung. Es ist toll, dass Spotify Bands vorschlägt, die zum eigenen Musikgeschmack passen, auf die man sonst vielleicht nie gestoßen wäre. Ebenso weiß man aber auch die Funktion eines Adblockers zu schätzen, der vor dem blinkenden Werbewahnsinn schützt.

Es wäre doch auch ganz praktisch, wenn Krankenkasse, Arbeitsamt, Finanzamt, Arbeitgeber, Vermieter, Telefongesellschaft, alles unter sich ausmachen würden und man nicht immer mit dreitausend Kopien alles überall nachweisen müsste.

 

Der Wunsch nach Privatsphäre ist menschlich

Aber: Es ist eben doch nicht gut, wenn alles öffentlich dokumentiert wird und einsichtig ist, weil z. B. etwas, das in dem einen Land unproblematisch ist, in einem anderen Land strafbar sein kann. Warum sonst kann eine Frau in Dubai wegen außerehelichen Sex verhaftet werden, weil sie eine Vergewaltigung anzeigt. Bevor wir also alles über uns veröffentlichen können, müsste Planet Erde erst ein friedliches übereinstimmendes Örtchen sein, was er wahrscheinlich nie werden wird.

Wir können alle denken, dass wir alles mitteilen können, aber letztendlich hat jeder das Bedürfnis, auch etwas für sich zu behalten und das ist ganz menschlich.

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  1. welche der beiden umgangsweisen mit dem „privaten“ gefällt dir besser? jetzt wo du beides kennengelernt hast hast du doch bestimmt einen favouriten

    • Ich bin wahrscheinlich zu sehr danach erzogen worden, dass Privates privat ist, dass ein halbes Jahr Spanienaufenthalt aufeinmal dazu führen kann, dass ich jedem gerne erzähle, wo ich wohne oder wie mein privaten Bedürfnisse aussehen, aber ich muss auch zugeben, dass es am Ende komisch war, wenn man auf einen distanzierten Gesprächspartner gestoßen ist und man sich vielleicht sogar selber ertappte, „private“ Fragen zu stellen. Als ich zurückkam mochte ich die distanzierte „deutsche“ Art überhaupt nicht mehr. Am Flughafen wollte ich lieber mit den mitgereisten Spaniern lauthals meine Freude über das endlich kommende Gepäck bekunden, als dem spießigen alten Ehepaar zuzusehen, wie sie den Kopf darüber schütteln, aber ich schweife vom Thema ab …

      Mit meiner Privatsphäre konnte ich in Berlin sowie in Spanien umgehen wie ich wollte, also auch nur soviel preisgeben, wie ich wollte.
      In einem Gespräch ist das jedoch immernoch etwas anderes, als z. B. mit meinen Kontodaten, meiner Miete, meinem Einkommen oder meinem Wohnbereich – das behalte ich weiterhin eigenartigerweise gerne für mich.

  2. Eine Privatsphäre bekommt man heutzutage eigentlich nur noch im Alltag in den eigenen 4 Wänden – oder fast, denn Adresse, Email, Geburtsdatum und sogar noch mehr sind in der Neuzeit keine großen Geheimnisse mehr. Buche ich einen Flug od kaufe ich was online, und schon sind meine Privatdaten nicht mehr so privat, sondern dienen dazu, dass ich zu meinem Geschmack passende Angebote erhalte. Allein wenn ich mir nur Songs, Taschen oder Klamotten online anschaue, kriege ich schon am nächsten Tag entsprechende Werbung-Banners beim Surfen zu sehen. Weil die Technologie von heute das leisten kann und es erlaubt. Meine Brötchen habe ich eine Weile damit verdient, und was bedeutet denn schon für einige die Leute n bissl mit Werbung und Newsletters zu nerven, wenn Geld und Profit draus gemacht wird? Die Bedeutung von Privatsphäre ist je nach Leuten und höchstwahrscheinlich Beruf unterschiedlich. Man kann zwar die Cookies aus seinem Computer regelmäßig löschen – aber will man wirklich auch so von der heutigen Technologie dazu gezwungen sein oder ist man eher bereit, bestimmt aus Faulheit oder Ahnungslosigkeit einen Kompromiss zu machen? Schon wenn ich einen Kommentar hier lasse, wird nach meinem Namen und meiner Mailadresse gefragt..

  3. Klar zeigt man ständig ganz viel von sich. Es geht nur um die Dokumentation von all dem und dem möglichen Missbrauch. Natürlich muss die Telekom meine Verbindungsdaten speichern, um mir eine Rechnung zu stellen. Trotzdem wäre es schön, wenn sie nach einigen Monaten dann auch wieder gelöscht werden.

    Es muss ja gar keine böse Intention sein. Ich bin mir sicher, dass die meisten Politiker, die alles speichern wollen, wirklich glauben, dass sie damit für mehr Sicherheit sorgen. Sie sind sich nur nicht den Risiken bewusst.

    Ein Extrembeispiel: Die Niederlande haben in den 30ern eine supergenaue und toll dokumentierte Volkszählung durchgeführt, um das Land besser managen zu können – tolle Sache, dachten sich alle. Dann kamen die Nazis, haben mal schnell in die Kartei geschaut und kannten die Adresse von jedem einzelnen Juden im Land.

  4. Schön mal eine andere Sichtweise zu dem Thema zu bekommen! (Also die der SpanierInnen)
    Ich finde aber eine andere wichtige Dimension ist die demokratische.
    Privatsphäre heißt nicht nur sein handeln zu schützen, sondern auch seine Gedanken. Wir brauchen Freiräume, besonders in einer Demokratie. Wenn der Staat seinen BürgerInnen nicht mehr traut, warum sollten die BürgerInnen ihn dann unterstützen?
    Der wichtige Punkt ist eben auch – wer hat die Daten und macht was damit?
    Denn es werden uns nicht nur Konsumartikel passgenau vorgeschlagen, damit werden auch Weltbilder vermittelt.

  5. Ich stehe zu dem Satz, dass ich nichts zu verbergen habe und das es mir „relativ“ egal ist, was die Leute über mich wissen. Was kümmert es mich, das irgendjemand anderes weiß, wie alt ich bin, wenn ich eine Krankheit habe, was für eine Krankheit ich habe, wie mein ideal Partner ist oder sonstige privatere infos. Natürlich sage ich nicht Alles wenn mir in einem Gespräch etwas intimes einfällt, was ich besser nicht erzählen sollte, weil es mir eventuell schaden könnte. Ich empfinde es aber auch nicht schlimm, wenn derjenige trotzdem diese Information hat. Da kann ich drüber stehen. Ich bin eigentlich nicht gerade nach dem Schema „ich offenbare dir alles“ erzogen worden, da steckt viel eigenentwicklung drin. ich finde es aber besser offenherzig zu sein als, introvertiert und zurückgezogen. das mag aber vielleicht auch daran liegen, dass ich mich bisher nicht für etwas schämen musste.

    ich kann mir aber auch die andere seite vorstellen, wenn mir schonmal was negatives wiederfahren ist, was mit vertraulichen daten zu tun hatte, dass ich wesentlich vorsichtiger mit meinen infos umgehe.

    das mit der personalisierten werbung find ich gut. so bekomm ich automatisch infos, die mit meinen interessen übereinstimmen ohne dafür extra auf die suche gehen zu müssen. wenn es mih nicht interessiert guck ich einfach wieder weg, es sei denn das popup lässt sich übersehen 😉

    • Die Piratenpartei hat mit der Hilfe vieler Internetnutzer mal ganz interessant zusammengefasst, warum es wichtig ist, dass es uns nicht egal ist wie „transparent“ wir sind. Die Begründungen gehen von politischen Grundrechten bis in den privaten Bereich. Vielleicht überzeugt der ein oder andere Punkt ja doch, dass man wohl etwas zu verbergen hat

      http://wiki.piratenpartei.de/Ich_habe_nichts_zu_verbergen!.

  6. Pingback: Redaktionssitzung mit Markus Kompa am Montag, 29. Juli, 18 Uhr zum Thema Cybersecurity | Die Trendblogger

  7. Also ich bin bei den meisten Themen eigentlich auch recht offen, allerdings erzähle ich selten von mir aus etwas privates, sondern erst auf Nachfrage, gerade wenn es um neue Kontakte geht! Dafür antworte ich aber auch meistens immer auf alles, wenn mir mein gegenüber sympathisch ist.
    Es gibt aber auch bei mir Themen wie z.B. Geld, über die ich nicht gerne, und mit Fremden schon gar nicht, rede.

    Das mit dem Internet ist allerdings wieder so ein Sonderfall!

    • Obwohl ich bei Facebook mittlerweile auch jeden Scheiß poste! Aber ich versuch immer noch ein wenig zu gucken, was für Foto ich reinstelle oder von mir reingestellt werden, da ich finde das Suff- und/oder halb nackte Bilder da nichts zu suchen haben!

  8. ich finde es sehr interessant wie groß doch die Unterschiede in den einzelnen Ländern sind. Wie stark sich die begrüßungs Arten unterscheiden… zum anderen wir geben doch immer Daten von uns Preis sei es in sozialen Portalen oder in Gesprächen in zb dem Bus wo dann eine dritte Person unserem gehör schenkt und sich sogar vielleicht sogar in das Gespräch ein klingt… ich denke es geht grundlegend nur darum wie unsere privaten Infos an die nächste Person geraten…

  9. Ich finde es interessant,dass den Leuten ihre Privatsphäre sogar in der Apotheke zum Teil egal ist.gerade dort,wo Diskretion groß geschrieben wird,lassen die Leute bei der Beratung hinter sich stehen und manch einer gibt dann auch noch Kommentare und Tipps zur Linderung der Beschwerden! Ich Sage nix dazu,denn mir ist es egal,der Kunde möge bitte seinen Mund selbst aufmachen und sagen dass ihn das stört. Aber es fasziniert,dass man so dreist sein kann, so dicht dran zu stehen,es aber auch geschehen zu lassen…

  10. Also ich muss sagen, dass ich an sich kein Problem damit habe private Dinge aus meinem Leben gegenüber Freunden zu erwähnen, denn dadurch erhält man auch mal eine andere Sicht auf die Dinge. Fremden gegenüber bleibt man sicherlich erstmal zurückhaltend. Natürlich gibt es immer Sachen, die man lieber für sich behält, einfach damit man selbst nicht verletztlicher dafür wird. Selbst auf Facebook wird von mir nur noch selten etwas veröffentlicht.

    Klar finde ich es gut, wenn Spotify mir neue Bands vorschlägt, die zu meinem Musikgeschmack passen oder mir das Internet abgestimmte Websiten anzeigt, zu meinen Interessen. Wenn es mich anspricht, nutze ich es dann auch. Wenn nicht, dann nicht.