Im Internet kann sich jeder an der Produktion und Verbreitung von Informationen beteiligen. Für das Monatsdossier „Medien und Partizipation“ der Trendblogger fanden sich viele innovative Portale zur Inklusion in die Gesellschaft. Wie gestaltet sich die Partizipation jedoch in einem Land wie Tunesien, wo Blogger und Bürgerjournalisten vor der Jasminrevolution Zensur, Verhaftungen und Folter erleiden mussten? Ein Interview mit der Bloggerin Aya Chebbi über den Stellenwert der medialen Partizipation in Tunesien, die Lage tunesischer Blogger heute und ihre Vorstellung vom zukünftigen tunesischen Journalismus.
Aya, du bist Bloggerin. Wie genau nutzt du dein Blog?
Mein Blog „Proudly Tunisian“ gibt mir die Möglichkeit, meine Meinung zu politischen, sozialen und kulturellen Themen auszudrücken. Daneben dokumentiere ich Themen, die die Medien ignoriert haben oder über die falsch berichtet wurde. Mein Blog nutze ich also vor allem auch, um Kritik zu üben. Ich habe begonnen, über Tunesien zu schreiben, für das mein Herz schlägt, doch in der Zwischenzeit schreibe ich auch über Themen und Probleme in der MENA-Region und in Afrika sowie über Orte, die ich besucht habe – mit besonderem Bezug auf Frauen- und Jugendrechte, soziale Bewegungen und internationale Beziehungen.
Hast du während der Jasminrevolution viel gebloggt?
Du meinst vom 17.Dezember (2010) bis heute? Wir haben immer noch keine durch freie Wahlen legitimierte Regierung, daher erachte ich unseren jetzigen Zustand immer noch als Revolution. Zu Beginn habe ich viel fotografiert, um das Geschehen festzuhalten. Danach habe ich Filmaufnahmen der Unruhen in den Straßen gemacht. Schließlich beschloss ich, auf Englisch zu schreiben, um meine Geschichten einem größeren Publikum zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig eine andere Perspektive – abseits der Mainstream-Medien – zu liefern. Außerdem konnte ich auf diese Weise auch Fakten korrigieren, die von den nationalen, aber auch internationalen Medien fälschlich verbreitet wurden.
Für unsere Monatsdossier sprachen wir bei den Trendbloggern über partizipativen Journalismus (Graswurzel-Journalismus), Blogs und die generellen Möglichkeiten, sich im Internet an der Produktion von Informationen zu beteiligen. Glaubst du, dass diese Formen der partizipativen Informationsbeschaffung in Tunesien einen anderen Stellenwert als in westeuropäischen Ländern haben?
Sicherlich sind die Medien in Westeuropa deutlich unabhängiger und unparteiischer als unsere tunesischen Medien, obwohl diese natürlich in den meisten demokratischen Staaten auch für politische Einflussnahme und Manipulation genutzt werden. Wenn ich mir „envoyé special“ (Anm:. ein wöchentliches Nachrichtenmagazin von France2) anschaue, frage ich mich, warum unsere Journalisten keine derartigen Programme hervorbringen und warum wir keinen professionellen, investigativen Journalismus haben. Das ist wiederum der Grund, warum Blogger in Tunesien vor allem Themen aufgreifen, die von den lokalen und internationalen Medien ignoriert werden.
Unterschiede zwischen meinen Freunden aus Westeuropa und mir sehe ich vor allem auch in der Nutzung der sozialen Netzwerke: Während meine Freunde Twitter und Facebook im Sinne deren Hauptaufgabe nutzen, nämlich um sich zu vernetzen, behandeln 90 Prozent der Tweets und Facebook-Beiträge meiner tunesischen Freunde Themen wie Politik, Wirtschaft, soziale Probleme und andere Angelegenheiten unseres Landes.
Unabhängig vom politischen System glaube ich, dass junge Menschen heutzutage sehr aufmerksam sind und soziale Netzwerke mehr als je zuvor auch für sozialen Wandel nutzen, wie zum Beispiel das Eintreten für LGBTQ-Rechte (Anm.: lesbian, gay, bisexual, transgender, queer) in sozialen Netzwerken.
Wie genau muss man sich die Situation tunesischer Blogger vor der Jasminrevolution vorstellen und merkst du eine Veränderung heutzutage? Fühlst du dich frei in deiner Tätigkeit als Bloggerin?
Zur Zeit des Regimes von Ben Ali hatten wir die Cyber-Polizei. Viele Blogs und Websites wurden zensiert oder gesperrt, Blogger wurden verhaftet und eingesperrt. Der Blogger Zouhair Yahyaoui wurde 2002 zum Beispiel für sein Blog tunezine.com verhaftet und gefoltert. Blogger waren meist die ersten Personen, die kurz nach den ersten Protesten der Tunesischen Revolution verhaftet wurden. Bürgerjournalisten sind selbst nach den Wahlen der verfassunggebenden Versammlung eingeschränkt in ihrer Arbeit und werden oft bedroht. Im März 2012 wurden Ghazi Beji und Jabeur Mejri zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt, aufgrund der Verbreitung „blasphemischer Inhalte“ auf sozialen Netzwerken.
Trotz allem haben wir heute mehr Rechte auf freie Meinungsäußerung, auch wenn die Arbeit der Blogger immer noch mit Risiken verbunden ist, vor allem, wenn man zum Beispiel Todesdrohungen erhält, weil man für seine Meinung eintritt. Die Ermordung von Chokri Belaid ist ein konkretes Beispiel der extremsten Form von Zensur.
Gibt außer Blogs noch andere Möglichkeiten für die tunesische Bevölkerung, sich an der Verbreitung von Informationen zu beteiligen?
Ja, es gibt Newsletter, Websites und kleine, unabhängige TV-Sender, bei denen man mitmachen kann. Es ist definitiv die Zeit für die Bürger, an der Medienproduktion teilzuhaben.
Was wünschst du dir für die Zukunft, vor allem in Bezug auf deine Arbeit als Bloggerin, im Internet und im Journalismus?
Ich möchte mein Schreiben weiterentwickeln, solange meine Botschaft nicht darunter leidet. Während meiner Arbeit bei verschiedensten Medien hat mich etwas dazu bewogen, Bügerjournalistin zu bleiben, frei zu sein in meiner Arbeit und Kreativität und außerdem nicht in meiner Meinung beeinflusst zu werden. Der Journalismus in Tunesien verbessert sich, jedoch fehlt es vielen unserer Journalisten immer noch an handwerklichen Fähigkeiten und der nötigen Motivation für ihre Arbeit. Daher glauben wir, dass Blogger die Arbeit von Journalisten mit übernehmen, von der Untersuchung bis hin zur Dokumentierung von Ereignissen. Der Journalismus ist die vierte Kraft, die wir mehr als je zuvor in dieser Übergangszeit brauchen. Ich hoffe, in der Zukunft verantwortliche, tunesische Journalisten zu sehen, die mit Professionalität und ethischen Grundregeln an die Arbeit gehen.