Amsterdam,
„Journalism, Media and Globalization“ heißt der Studiengang für den ich vor zwei Jahren meiner Heimat Köln den Rücken gekehrt habe. Gemeinsam mit 70 Kommilitonen aus über 50 Nationen zog ich los um zu verstehen wie Journalismus in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts funktionieren wird. Drei Unis, zwei Länder und unzählige Seminare später weiß ich, das es keine klare Antwort gibt. Was es gibt sind Trends: Ideen, Projekte und Innovationen um auf die veränderten Rahmenbedingungen der Medienwelt zu reagieren. Aus Amsterdam werde ich für die Trendblogger nach solchen Innovationen Ausschau halten. Und wer weiß; vielleicht finden wir ja doch noch eine Antwort


Mut zur Meinung!

Das Publikum von politischen Comedy-Formaten wie der ‚heute-show‘ und dem ‚Postillon‘ wächst: Zeigt der Erfolg, dass wir mehr Meinungsjournalismus brauchen?

Postillon24-Moderatoren Anne Rothäuser & Thieß Neubert.
Quelle: http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/postillon24/

 

„Imperium will Todesstern aus deutscher Produktion kaufen“! Oder: „Europäische Union plant Privatisierung von Sauerstoff“! Klingt komisch? Ist auch so! Denn diese Schlagzeilen stammen aus der Feder von Postillon-Gründer Stefan Sichermann. Die Fake-News seines Satire-Magazins erscheinen mittlerweile auf den Facebook-Threads von knapp 850.000 Followern. Zahlen von denen der Großteil der nicht-satirischen Konkurrenz nur träumen kann. ‚Zeit Online‘ hat gut 350.000 Follower, ‚die Süddeutsche Zeitung‘ knapp 200.000 und sogar ‚Spiegel-Online‘, Deutschlands Nachrichten-Bibel, ist mit 650.000 Likes abgeschlagen.

Vorbild USA

Besonders im letzten Jahr hat sich der Postillon endgültig zur Erfolgsstory entwickelt. Nachdem sich die Besucherzahlen der Internetseite seit September 2013 mehr als verdoppelt haben, gibt es jetzt sogar eine Kooperation mit dem NDR. Unter dem Motto ‚wir berichten bevor wir recherchieren‘ werden dort seit kurzem die Videonachrichten des Postillon24 ausgestrahlt. Und auch wenn diese bisher relativ ungelenk daherkommen, stellt sich die Frage, ob in Deutschland zur Zeit anfängt, was in den USA bereits im vollen Gange ist: Die Entwicklung von Comedy-Formaten zu ernstzunehmenden Nachrichtenquellen.

Neben der Postillon-Vorlage ‚The Onion‘ ist das leuchtende Beispiel in den USA, natürlich, Jon Stewart. Mit seiner ‚Daily-Show‘ ist er längst zu einem der wichtigsten Meinungsmacher des Landes geworden. Die deutsche Version, die ‚heute-show‘ mit Oliver Welke, ist dort noch nicht angekommen, auch wenn die Quoten kontinuierlich steigen.

Quelle: http://www.salon.com/2011/09/13/daily_show_5/

„America’s most trusted news man“
Quelle: http://www.salon.com/2011/09/13/daily_show_5/

Das interessante am Erfolg all dieser politischen Comedy-Formate ist, dass sie einen Fingerzeig für den Rest der Branche enthalten. Denn mit ihren teilweise radikalen politischen Kommentaren treffen Postillon & Co. auf einen wachsenden Bedarf in der Bevölkerung. Ein Bedarf nach Journalismus, der nicht nur informiert, sondern sortiert. Nicht nur berichtet, sondern Interpretationsmöglichkeiten anbietet. Sogar wenn das bedeutet am Ideal des objektiven Journalisten zu rütteln.

‚Die Illusion von Objektivität‘

Für den NSA-Journalisten Glenn Greenwald ist das überhaupt kein Problem. Ganz im Gegenteil sieht er im absoluten Willen zur Objektivität die eigentliche Gefahr für den Journalismus. Erstens habe dieser Wille zu einem unkritischen und stellenweise autoritätshörigen ´here’s-what-both-sides-say-and-I-won’t-resolve-the-conflict´ -Journalismus geführt. Zweitens seien Journalisten auch nur Menschen, die ihre subjektiven Sichtweisen nie vollständig hinter sich lassen können. Weil die Leser ahnen, dass hinter der vorgegebenen Objektivität trotzdem Überzeugungen und Interessen stehen, sei das Misstrauen gegenüber den Medien gestiegen, so Greenwald.

Jon Stewart kennt solche Probleme nicht. Vor einigen Jahren wählten die Amerikaner den Komiker zum ‚Most Trusted Newsman‘. Das allein ist eine Leistung, die den Mainstream-Journalismus interessieren sollte. Offensiver Umgang mit politischer Voreingenommenheit sticht vermeintliche Neutralität. Ordnen und Kommentieren sticht bloßes Informieren. Der Erfolg der Comedy-Formate ist damit wohl mehr als bloßer Zufall. Er ist das Resultat eines wachsenden Bedürfnisses nach Orientierung und gleichzeitig ein Appell an die Medien: Habt mehr Mut zur Meinung!

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