Trendblogger-Jahrgang 2012/2013 „Welkumma en unsrem scheena Strossburi“ heißt es für mich. Der Dialekt verrät es bereits: Aus dem Herzen Frankreichs werde ich nicht schreiben. Dafür allerdings aus dem Herzen Europas: Mit ihren vielen europäischen Institutionen bezeichnet sich Straßburg nämlich selbst als „Hauptstadt Europas“. Der Job hat mich über die Grenze verschlagen und wegen der Vielfältigkeit der kulturellen Einflüsse bin ich geblieben. Beste Voraussetzung also, um nicht nur über französische sondern auch über europaweite Medientrends zu berichten.


Hier bin ich – wenn Überwachung überflüssig wird

Auf "trackingtransience" kann man beobachten, wo sich der Künstler Elahi gerade aufhält.

Auf „trackingtransience“ kann man beobachten, wo sich der Künstler Elahi gerade aufhält.

Es ist der 24. Juli 2013 um 03:10 Uhr nachts amerikanischer Zeit und ich kann beobachten, wo sich Hasan Elahi gerade aufhält. Als Letztes hat er das Foto einer Bar gepostet. Die Zucker und Salzstreuer sind auf einem Tablett angeordnet, die Becher umgedreht, Personen sind nicht auf dem Foto abgebildet. Wahrscheinlich schläft Elahi gerade, denn das GPS bewegt sich nicht.

Wenn Elahi hören würde, dass in Deutschland für den 27. Juli bundesweit Demonstrationen gegen die Internet-Überwachung unter dem Titel „Stop watching us“ geplant sind, würde er wahrscheinlich laut loslachen. Sein Lebensmotto könnte nicht konträrer sein: Man kann es etwa auf den Punkt bringen mit „Start watching me“. Elahi ist Künstler. Um genauer zu sein: Er ist Medienkünstler mit dem Schwerpunkt Technologie und Medien und ihre sozialen Auswirkungen. Seine Lieblingsthemen: Überwachung, Sousveillance und Grenzen. Sousveillance (frz. „Unterwachung“) soll bedeuten, dass der normale Überwachungsweg umgekehrt wird: In diesem Fall beobachten die sonst Überwachten (z. B. Bürger eines Staates) die normalerweise Überwachenden (z. B. den Staat). Als Künstler hat er sich – wie fast nicht anders zu erwarten wäre – ein sehr radikales Projekt ausgedacht: Er überwacht sich quasi selbst und macht dies öffentlich.

Jeder kann Elahi beobachten

Auf www.trackingtransience.net kann jeder beobacht, wo Elahi sich gerade aufhält – das GPS ist immer dabei. Dazu postet der Künstler über den Tag verteilt immer wieder Bilder von der Umgebung, in der er sich gerade aufhält, oder von seinem Essen, das er gleich zu sich nehmen wird, usw. Während die einen immer vorsichtiger werden, welche Daten sie im Internet preisgeben, hat sich Elahi für den gegensätzlichen Weg entschieden: Er postet einfach alles.

In den USA ist es jetzt inzwischen kurz vor 11 Uhr morgens. Elahi ist aufgestanden und verweilt nun in der Nähe eines Hafens. Der Tag verspricht sonnig zu werden – so sieht es zumindest auf dem Foto auf, das Elahi nun gepostet hat.

Die Idee zu seinem Projekt hat übrigens einen sehr realen Hintergrund: Der in Bangladesch geborene und in den USA aufgewachsene Künstler kam per Zufall auf eine Überwachungsliste des FBI als Terrorverdächtiger. Nach einer Befragung durch das FBI gab ihm einer der Agenten den Rat mit auf den Weg, sich doch beim FBI zu melden, wenn er auf Reisen ginge. Nach diesem Vorfall stellte Elahi Ende 2003 seine Seite www.trackingtransience.net ins Netz. Auf einer Karte kann jeder, der möchte einsehen, wo sich Elahi gerade aufhält. Seither braucht das FBI nur noch auf seine Website gehen, wenn es wissen möchte, was Elahi gerade macht. Das Abfangen und Ausspionieren elektronischer Daten ist damit hinfällig.

Bild: Screenshot der Seite www.trackingtransience.net