Ein Grund weshalb ich nach Spanien gegangen bin, war, um zu sehen, wie die Menschen dort in der Zeit der Krise leben. Ich wollte direkt vor Ort helfen, indem ich darüber berichte. Fast jeder Spanier, mit dem ich mich länger unterhalten habe, hat mir seinen Frust über Angela Merkel – irgendwie eine Art besondere Hassfigur in Spanien – mitgeteilt. Ebenso habe ich nahezu unzählige Schilder mit der Aufschrift „Liquidaciónes“ (dt. Ausverkauf) in den Schaufenstern gesehen und auf meine Nachfragen im Laden wurde mir stets geantwortet, dass die schlechte Wirtschaftslage der Grund der Geschäftsauflösung sei. Während für einige die Krise das Ende bedeutete, haben andere jedoch die Chance darin gesehen und sich selbstständig gemacht, wie zum Beispiel mein Mitbewohner Jorge. In Gesprächen mit ihm habe ich mich oft gefragt, ob die Umsetzung einer Geschäftsidee in Deutschland und Spanien gleich schwierig ist. So kam ich auf die Idee junge Start-ups in beiden Ländern zu befragen, wie sie auf ihre Geschäftsidee kamen und wie sie diese in die Wirklichkeit umgesetzt haben. Der Konsens beider Firmen klingt recht simpel: Du brauchst eine gute Idee, musst an dich glauben und darfst dich nicht von Kritikern beirren lassen, aber man sollte auch stets den Gedanken im Hinterkopf behalten, dass es nicht klappen könnte und man vielleicht die Perspektive wechseln muss.
John Nitschke ist einer der zwei Gründer von „pijajo“, eine berliner Start-up-Firma, die vor gut einem Jahr damit begonnen hat, ein Onlinetool zu entwickelt, das die Arbeitsabläufe für Hostessen sowie Hosts und Agenturen vereinfacht. Inzwischen haben sie ihr Angebot stark erweitert und haben drei Softwarekomponenten entwickelt, um Personal für sich ständig wechselnde Anforderungen, wie z. B. bei Messen, Events, Bars, Supermärkte und im Einzelhandel, zu organisieren sowie sich wiederholende Arbeitsabläufe zu automatisieren. Die Programme sind auf die jeweiligen Anforderungen genau zugeschnitten und bieten damit z. B. eine Revolution der Lohnabrechnung. Diese war bisher stark manuell geprägt und kostete dem Unternehmen viel Zeit und dadurch Geld. Durch die selbst generierten Daten der Mitarbeiterorganisation kann die Lohnabrechnung absolut automatisch abgewickelt werden und ist somit für die Unternehmen über 70 % günstiger.
Jorge Dobón Montagut arbeitet schon seit drei Jahren als eigenständiger Unternehmer. Im Januar 2013 hat er „Momentum“ gegründet, ein Start-up-Träger in Valencia und Madrid, der nach erfolgreichen Geschäftsmodellen in den USA sucht, um diese für den spanischen Markt zu adaptieren. „Momentum“ verfolgt das Ziel, Start-up-Firmen zu gründen bzw. bei der Gründung zu unterstützen. Das achtköpfige Team besteht aus Mitarbeitern aus den Bereichen Design, Entwicklung, Kommunikation und Wirtschaft. Zusammen beraten sie junge Unternehmen in den ersten vier Monaten, schulen die Unternehmensführer und helfen bei der ersten Einführung des Produkts und dessen Finanzierung. Ihr Geschäftsmodell ist jedoch dahingehend ausgelegt, Start-up-Unternehmen aufzubauen, um sie letztendlich wieder gewinnbringend zu verkaufen. Seit Beginn des Jahres hat „Momentum“ schon vier Start-ups lukrativ unterstützt.
Was hat euch dazu veranlasst eine eigene Firma zu gründen?
John: Jan und ich haben uns vor sechs Jahren neben dem Studium bei der Arbeit auf einer Messe kennengelernt. Ich hatte ihm von einer Geschäftsidee erzählt, die wir aber kurz danach wieder verworfen haben. Danach waren wir ständig auf der Suche nach neuen Ideen. Bis wir gemerkt haben, dass es noch keine Software für Messeagenturen gibt, um ihr Personal zu organisieren. Da man in der Agentur damit viel Zeit sparen kann, war uns klar, dass die Agenturen dafür bereit wären Geld zu bezahlen.
Jorge: Die Idee ein Unternehmer zu werden entspringt aus meinem immer präsenten Wunsch neue Projekte zu beginnen und mein eigenes Unternehmen zu gründen. Hierbei motiviert mich die Herausforderung neue Jobs zu kreieren, anderen Unternehmern zu helfen und das Geld zu verdienen, das ich selber produzieren kann. In meiner Familie habe ich viele Vorbilder, die mir vorgelebt haben, dass die Selbstständigkeit eine Chance ist meine eigene Karriere zu formen. Ich habe mich deswegen entschieden, Wirtschaft zu studieren. Ich wusste schon lange, dass ich die Möglichkeit haben möchte, meine eigene Firma zu führen.
Die Idee, eine Firma zu gründen hatten schon viele, aber nicht jeder schafft es, dies auch durchzuziehen. Verratet doch mal, wie es bei euch angefangen hat, ob es Hürden gab oder vielleicht sogar glückliche Zufälle. Wie beginnt man ein Start-up?
John: Da gibt es verschiedene Ansätze. Wenn man nicht direkt Umsätze machen kann, muss man irgendwie Geld auftreiben. Wir haben ein EXIST-Gründerstipendium beantragt und auch bewilligt bekommen. Dadurch konnten wir unsere erste Beta-Version der Messe- und Eventagentur-Software entwickeln. Eine große Hürde ist, dass Menschen, mit denen man über Ideen redet, immer alles in Frage stellen und Probleme aufzeigen – meist ohne Lösungen zu liefern. Man sollte immer für Kritik offen sein, kann seine Idee auch weiterentwickeln, aber darf sich nicht zu voreilig davon abbringen lassen und sollte an sein Ziel glauben. Der beste Umstand, der passieren konnte ist, dass aus einer guten Freundschaft ein noch besseres Gründerteam gewachsen ist. Im Team kann man sich gegenseitig motivieren, Ideen weiterentwickeln und vor allem Kompetenzen ergänzen.
Jorge: Ein Start-up zu gründen, bedeutet immer eine große Herausforderung, die du vom ersten Tag an gerne eingehen musst. Du musst ein Team gründen und dich selbst auf Gebieten weiterbilden, die vielleicht nicht dein Spezialfach sind (ich bin z. B kein Experte im technischen Bereich). Letztendlich musst du es irgendwie schaffen, den Investor zu überzeugen dein Projekt Wirklichkeit werden zu lassen. Die größte Schwierigkeit ist der Umgang mit dem Wissen, dass dein Start-up vielleicht abgelehnt wird. Wir sprechen immerhin über eine Industrie, in der mehr als 75% der neuen Unternehmen scheitern. Nichtsdestotrotz müssen wir Versagen aber auch als ein Teil des Weges zum Erfolg ansehen. Es ist sehr wichtig, diese Probleme rechtzeitig aufzuspühren und zu besprechen und nicht zu verängstigt zu sein, die Perspektiven zu ändern oder letztendlich das Projekt zu beenden, wenn es nicht funktioniert.
Deutschland ist von der Wirtschaftskrise nicht so schwerwiegend betroffen wie andere Länder. Spanien hingegen ist ein Land, das vollkommen in der Krise steckt. Trotzdem habt ihr beide die Gelegenheit ergriffen, euch in euren Ländern selbstständig zu machen. Wie schwierig ist es, sich in der Zeit der Krise selbstständig zu machen?
John: Kurz nach der Krise Unternehmen zu gründen ist ein sehr guter Zeitraum, weil viele Investoren in der Krise ihr Geld für Investitionen zurückgehalten haben. Dieses Geld muss aber wieder investiert werden, wenn es danach aussieht, dass sich die Konjunktur verbessert. Gerade in Berlin hat sich dadurch eine sehr starke Start-up-Szene entwickelt. Besonders häufig werden technisch innovative Unternehmen auch durch staatliche Investitionen gefördert.
Jorge: Es ist ein Ansporn, Dinge besser zu machen. Wenn eine Firma in einer von einer Kriseumgebung entsteht, wächst die Chance, durch die Umstände stärker zu werden. Ebenso eröffnen sich neue Möglichkeiten auf neuen Gebieten. In Spanien haben wir aber noch zwei weitere Probleme neben der Krise: Zum Einen die ungenügende Unterstützung der Regierung für Firmenneugründungen und zum Anderen die Einstellung der Spanier, nicht sehr offen für neue Projekte zu sein. Das ist ein vielleicht noch schwieriger zu überwiendendes Hindernis – als wenn die Leute eine Abneigung dagegen hätten, Unternehmer in ihrem Vorhaben zu unterstützen.
Als eigener Boss kann man seine Zeit frei einteilen, aber ob das jeder gut findet, bleibt diskutabel. Was sind die Vor- und Nachteile der Selbstständigkeit?
John: Es klingt immer so toll, sein eigener Boss zu sein, weil jeder denkt, dass man bei guten Wetter einfach nicht arbeitet oder viel Freizeit hat, wenn man es will. Das Überraschende ist, dass man das auf einmal gar nicht mehr will, weil man eine ganz andere Motivation hat, zu arbeiten als wenn man in einer Firma angestellt ist. Die Quintessenz bei uns ist, dass wir so viel arbeiten wie noch nie und auch noch Spaß dabei haben.
Jorge: Als Chef musst du ein Team leiten, dich um die Investitionen der Firma kümmern und die Fähigkeit entwickeln, alle aufkommenden Probleme zu lösen. Das Erste ist, innovative Lösungen zu bieten, alle Ressourcen in die gleiche Richtung zu lenken und alle Menschen, die du brauchst zu motivieren und zu überzeugen – Investoren, Team und Unternehmer. Der größte Nachteil ist das Risiko, das du eingehst, die Unsicherheit deinem Team nach sechs Monaten keinen Job versichern zu können. Dafür gibt es aber viele Vorteile. Die Befriedigung wenn alles gut läuft, dass du ein funktionierendes Team geschaffen hast, die Löhne auszuzahlen und die Leute deines Teams zu vereinen.
Mit einem kleinen Schmunzeln kommen wir mal auf die Klischees zu sprechen – Laut gruenderszene.de (http://www.gruenderszene.de/allgemein/30-schmutzige-berliner-startup-fakten) definieren sich Start-ups als Geschäftsidee hipper Szenetypen, die 40 bis 60 Prozent ihrer Arbeitszeit auf Partys mit „netzwerken“ verbringen, überwiegend Anglizismen benutzen, sich gerne neue Jobtitel ausdenken und erst über die virale Vermarktung nachdenken, bevor sie das Geschäftsmodell entwickeln. Was sagst du dazu, John?
John: Ein networking des CEO ist essential um einen viral vibe zu entfachen, da sind wir uns alle sure Dass es im deutschen Raum nur in einer AG einen CEO (Chief Executive Officer) gibt, Netzwerken ein genau so kurzes Wort ist und man nur in aller Munde ist wenn auch das Produkt stimmt, das wissen wir auch alle, aber beeindruckt leider keine unwissenden Dritten! Den Großteil der Leute, die man auf den meisten Netzwerk-Events trifft, obwohl es hier auch viele Ausnahmen gibt, sind Leute, die Ideen haben, aber noch keine Finanzierung. Es ist ein guter Start, um die Szene kennen zu lernen, Erfahrungen von anderen Start-ups zu sammeln und zu erfahren, wie man an das geliebte Geld kommt. Es gibt allerdings auch viele, die über diese Phase nie hinauskommen bzw. permanent ihre Idee ändern, weil das Netzwerken selbst ihnen einfach zu viel Spaß macht. Wie aber Florian Heinemann vor kurzem auch auf Gründerszene sagte “Hipness verdient kein Geld”. Daher muss jeder für sich den Mittelweg zwischen hip und effizient finden und deshalb überlegen sich die Köpfe der erfolgreichen Start-ups sehr genau, welches Event sie besuchen und mit wem sie den Kaffee im Oberholz trinken.
Arbeit und Spanien – da fallen mir auch gleich ein paar Klischees ein. Jorge, was sagst du zu den Stereotypen, dass Spanier eher gemütlich, informell oder manche sagen sogar faul sind und Start-up-Gründer stets coole, hippe Party-People sind, die Anglizismen benutzen und den ganzen Tag nur netzwerken?
Jorge: Ich stimme den meisten Stereotype über Spanien zu. Wir müssen daran arbeiten, dieses Bild zu ändern. Start-ups können dabei helfen, diese Ansichten zu korrigieren. Wir haben alle Spaß dabei, bei „Momentum“ zu arbeiten. Wir machen Party, wenn es Zeit zum Feiern ist, aber ebenso arbeiten wir bis spät in die Nacht. Wir benutzen viele englische Begriffe (srum, lean, feedback, one pager …) und sind immerzu verbunden mit sozialen Netzwerken. Aber das ist auch wichtig. Es ist unser Job, Kunden zu bekommen, immer in Verbindung mit ihnen zu bleiben sein und ihnen das zu bieten, was sie benötigt, um ein erfolgreiches und rentables Projekt zu entwickeln. Soziale Netzwerke sind fantastisch für so etwas.
Ich danke euch beiden für das Gespräch und den kurzen Einblicke in die Schwierigkeiten und schönen Erlebnisse eines Start-ups. Viel Erfolg für eure Ideen, Projekte und Firmen!
… ebenso stereotyp kann man da nur sagen : wer etwas riskiert kann verlieren, wer nichts riskiert hat schon verloren
Pingback: F & I Training Manual “Ihre Chance Starts Now” · INFOBLOGHUB.NET