Einmal in der Woche im Seniorenheim ehrenamtlich arbeiten war gestern: Mit der Digitalisierung der Gesellschaft verändert sich auch der soziale Sektor. Er wird gnadenlos professionalisiert. Die Online-Plattform betterplace lab lotet aus, wie ehrenamtliches Engagement im digitalen Zeitalter möglich ist. Eine Kritik.
Im digitalen Raum sozial sein? Das hört sich erstmal sehr lobenswert an. Das Unternehmen betterplace lab ist ein Think und Do Tank mit Hauptsitz in Berlin, der sich genau das zum Ziel gesetzt hat: Digitale Innovationen mit dem sozialen Sektor zu verbinden, damit dieser besser wird. Klingt doch toll. Spenden werden effizienter verteilt, NGOs nach ihrer Effektivität gerankt und kein Mensch beschwert sich. Denn es ist ja für den guten Zweck.
Das soziale Engagement wird professionalisiert
Bei genauerem, kritischem Hinsehen, fällt jedoch auf: betterplace lab arbeitet mit genau denselben wirtschaftlichen Methoden, wie andere Unternehmen, die nach der stetigen Optimierung ihrer Arbeit streben. So ist eines der Projekte von betterplace lab der sogenannte „NGO Meter“ – das erste Benchmarking für Online Fundraiser deutschlandweit. Das Benchmarking ist eine Methode, bei der mehrere Unternehmen zielgerichtet verglichen werden, um das effizienteste unter ihnen herauszufiltern. Dieses Unternehmen wird dann als Referenz verwendet, um die Leistung aller Unternehmen zu optimieren.
Im Falle von betterplace lab kann jede Nonprofit-Organisation teilnehmen. Alle NGOs können sich so mit ihrer Konkurrenz auf dem wild umkämpften Markt der Spenden vergleichen, um ihre Performance zu optimieren. Werden die Spendengelder auch effizient genug akquiriert? Wie lässt sich in möglichst kurzer Zeit das Spendenvolumen erhöhen? Diese und andere Fragen möchte der „NGO-Meter“ den teilnehmenden Organisationen beantworten. Das Ehrenamt wird wirtschaftlich effizient.
Das Paradoxe ist, dass hier der altruistische Gedanke das sozialen Engagements mit der kapitalistischen Verwertungslogik – also einer sehr egoistischen Denkweise – verknüpft wird. Freiwillige Arbeit wird hier messbar und zu einer Ware mit Wert gemacht. Ihr ideller Wert geht stückweise verloren.
Dabei ist betterplace lab ist nicht das einzige Unternehmen, dass sich dem sozialen Sektor zugewandt hat. Auch andere Projekte erlauben es den Usern, sich digital soziale zu engagieren.
Kritik: Optimierungswahn erreicht auch das Ehrenamt
Doch trotz all des Engagements und der cleveren Verbindung von technischen Innovationen mit ganz realer sozialer Unterstützung, reiht sich betterplace lab in einen Trend ein, den die digitalen Medien mitangestoßen haben. Da die Kommunikationswege kürzer sind, können Informationen schneller fließen. Alles wird transparenter und effizienter. Es gibt keine Verzögerung – soziales Engagement wird dank einer ultraschnellen Kommunikationsinfrastruktur professionalisiert. Soziale Ziele stehen auf dem Plan und mit ihnen eine immer weitere Optimierung der Gesellschaft.
Die betterplace lab Website kommt chic daher und in dem Einführungsvideo fallen die magischen Worte, die die Philosophie des Unternehmens umreißen: „[Wir] erstellen Wissensportale, damit sich effizientere Projekte durchsetzen“, ertönt da eine schneidige Stimme. Wer am effizientesten sozial ist, der kann sich online auch am besten verkaufen.
Die digitalen Medien lassen sich nutzen um die Gesellschaft zu verbessern. Doch nur, wer mitzieht und up-to-date ist, der kann sich auf dem Online-Markt gut verkaufen. Alle andere werden leider nach und nach unter gehen. Dabei müsste sich doch eigentlich der soziale Sektor diesem Leistungs- und Profitmaximierungsdenken entziehen – oder?
Was haltet ihr von Portalen wie betterplace lab und der Professionalisierung des sozialen Engagements?
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Spannender Artikel und ich stimme dir voll zu, dass soziale Projekte nicht gezwungen werden sollten, sich einer Marktlogik zu unterwerfen. Aber zum Glück sind sie das auf vielen Ebenen ja auch nicht. Also alles Initiativen, die lokal und regional laufen, können super ohne solche Rankings, oft sogar ohne Internetseite auskommen.
Hier in Portugal gibt es so soziale Freiwilligenprogramme auf allen Ebenen, d.h. du kannst dich unbürokratisch engagieren. Die Plätze werden über die Stadt oder die Uni vermittelt. Da geht es um Projekte wie Obdachlosenhilfe oder Arbeit mit Kindern aus finanziell schwächeren Familien. Da geht’s ums Individuum. Welches Ranking die Vereine hätten? Hahaha, darum macht sich nun wirklich niemand Gedanken.
Ein Beispiel konsequent umgesetzter Marktlogik, ungeachtet der Tatsache, dass der Effizienzgedanke soziales Engagement nahezu ad absurdum führt – danke für deinen kritischen Einwurf zu diesem Thema!
Entschuldigung, aber ist es nicht gerade bei NGOs wichtig zu wissen ob sie effizient sind? Sie sollten vielleicht kein Geld abwerfen (=finazielle Effizienz) aber es ist schon wichtig zu wissen ob sie ihr gesetztes Ziel erreichen (=soziale Effizienz). Man sollte zwischen Effizienzgedanken und Profitgedanken schon unterscheiden… und man kann von NGOs (von denen manche Millionen an Spendengeldern erhalten) schon erwaten, dass sie auch etwas erreichen und verändern.
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Sogenanntes „soziales Engagement“ findet auf diese Weise nur noch über Fundraising statt, mit den Ursachen des eigentlichen Problems wird sich kaum mehr auseinandergesetzt. Gewissen reinwaschen – nun mehr mit einem Klick!
Guter Artikel! Es ist wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, dass nicht alles, was innovativ und effizient sein soll, gleichzeitig auch gesellschaftlichen Nutzen bringt.
Kann ich nicht schlimm finden, wer das Geld fremder Leute haben möchte, steht heute oder dem Druck, transparent und effizient zu sein. Siehe die Affäre rund um Stefan Loipfinger.