Jan Korte

Jan Korte

Trendblogger Jahrgang 2011/2012 Hei liebe Freunde der Medieninnovationen, für die nächsten Monate werde ich, Jan, 25, Euch aus Kanada beglücken. Im Herbstsemester werde ich an der University of Toronto, der größten Universität des Landes, studieren. Anfang 2012 geht's dann wieder zurück an die Hertie School of Governance nach Berlin, wo ich meine Masterarbeit im Fach Public Policy fertig schreiben werde. In Kanada interessieren mich vor allen Dingen die Möglichkeiten der Medienlandschaft für Mitbestimmung und Demokratie. Wie können sich Menschen an politischen Entscheidungen beteiligen, wie kommuniziert der Staat mit seinen Bürger_innen und macht das Ganze dabei vielleicht auch noch Spaß? Welche Tools, Projekte und clevere Ideen werden genutzt? Natürlich werde ich meine Augen und Ohren auch für andere Trends im Medienbereich offenhalten und Euch hierüber informieren. Auch wenn Ihr spezielle Themen habt, denen ich nachgehen soll oder Anregungen, was Euch besonders interessiert: Do not hesitate to contact me at anytime!
Toronto,


Rent a bike, spot a cycle

Spotcycle

Wer kennt sie nicht, die Leihfahrräder, die in den letzten Jahren in den Metropolen des Westens Karriere gemacht haben? Von vielen geliebt, von anderen kritisiert wegen ihrer undurchsichtigen Verträge mit Werbeunternehmen wie JC Decaux , Kreditkartenabhängigkeit oder ihrer einseitigen Ausrichtung auf die Innenstädte, sind sie auf jeden Fall ein großer kommerzieller Erfolg. Außerdem werden so Leute zum Radfahren gebracht, die es sich sonst wahrscheinlich eher im Auto bequem gemacht hätten.

Ob Vélib’ in Paris, Call a bike in Berlin oder BIXI in Toronto, eines steht aber auch fest: Der Ärger ist groß, wenn man ein Fahrrad ausleihen möchte und dann ernüchtert feststellen muss, dass die Station leergefegt ist. Otto & Anna Normalverbraucher_in hat natürlich auch keine Ahnung, wo das nächste Rad zu ergattern ist.

Abhilfe schafft für BIXI Toronto nun eine neue App: Spotcycle.

Auf der einen Seite wird mir die Verfügbarkeit von Fahrrädern an den jeweiligen Stationen angezeigt. Auf der anderen Seite bietet Spotcycle in seiner neuesten Version auch ein „Rundum-Sorglos“-Programm. Denn nun kann die Suche nach dem perfekten Fahrrad mit einer maßgeschneiderten Route zu kulturellen Highlights, Sehenswürdigkeiten, Restaurants und Geschäften kombiniert werden. Das Ganze dann natürlich wie immer app-basiert, verfügbar für alle 3 mobilen Betriebssysteme.

Momentan ist Spotcycle in folgenden Städten für die folgenden Fahrradleihsysteme in Nordamerika verfügbar:

  • Boston, USA (New Balance Hubway™)
  • Chattanooga, USA (Coming soon!)
  • London, UK (Barclays Cycle Hire™
  • Melbourne, Australia (Melbourne Bike Share™)
  • Minneapolis, USA (Nice Ride Minnesota™)
  • Montreal, Canada (BIXI Montreal)
  • Ottawa-Gatineau, Canada (Capital BIXI)
  • Toronto, Canada (BIXI Toronto)
  • Washington DC/Arlington VA (Capital Bikeshare™)

http://www.youtube.com/watch?v=It2cSthLB84

Alles in alle, ein weitere Schritt hin zur Integration von verschiedenen Verkehrstypen. Was immer dazu nützt, mehr Leute aufs Fahrrad zu bringen, kann im Lichte von Klimawandel, Dauerstau in der Greater Toronto Area und Übergewicht nur zu begrüßen sein. Raus aufs Fahrrad, rein in die Stadt! Und den Winter einfach ignorieren…

Toronto,


Die App und der Ombudsmann

ombudsman_ontario

Der Ombu-was? werden sich jetzt vielleicht einige von Euch fragen. Ombudsmänner- und frauen (ja, das können glücklicherweise inwzwischen auch Frauen werden!) sind so etwas wie unparteiische Schiedsrichter_innen, die sich seit den 1970er Jahren in vielen Ländern der Welt verbreitet haben. Ombudsleute gibt es in Deutschland (z.B. die/der Wehrbeauftragte), in der Europäischen Union (in Form der/des Europäischen Bürgerbeauftragten), aber auch in Kanada.

In der Provinz Ontario zeigt sich Ombudsmann André Marin nun ganz progressiv: Am 8. November 2011 hat er eine Mobile App gestartet, mit der sich Ontarios Bürger_innen mit einer Beschwerde über ihre Regierung direkt an sein Büro wenden können, von überall und jederzeit, falls man denn auch eine iPhone, Android oder ein Blackberry besitzt.

So hilft die App sicherlich, den Zugang zum Beschwerdewesen zu erleichtern. Doch stellt sich gleichzeitig die Frage, ob das nun dazu führt, dass mehr Leute von der Institution des Ombudsmannes überhaupt Kenntnis nehmen. Jede_r von Euch kennt sicherlich Freund_innen, die sich über die Verwaltung oder die Regierung zu beschweren haben, doch wer wendet sich dabei an Ombudsleute? Dieses Problem ist wohl symptomatisch für vieles im Bereich E-Government bzw. E-Partizipation – wer sich beteiligt, würde sich in den meisten Fällen wahrscheinlich auch offline beteiligen. Heißt wohl in der Konsequenz, dass die App – und auch die Facebook-Page und der Youtube-Kanal des Ombudsmannes in Ontario – nur ein bisschen dazu dienen, dass Leben derer zu erleichtern, die ohnehin schon politisch aktiv sind. Immerhin was und generell zu begrüßen! Schließlich wird hier – anders als bei vielen Konsultativverfahren wie Bürger_innenbeteiligungen in Haushalt oder Stadtentwicklung – nur ein Angebot für individuelle Bürger_innen geschaffen. Politische Entscheidungen, bei denen bestimmte Gruppen dann unterrepräsentiert sein könnten, fallen hier nicht.

Für alle, die mal wissen möchten, was der Ombudsmann eigentlich für einen Einfluss auf die Politik hat, hier André Marin höchstpersönlich…http://www.youtube.com/watch?v=x3G37BJgA4M&feature=channel_video_title

Toronto,


'Grindr' goes Hetero

Dass das Internet im Allgemeinen und das Web 2.0 im Speziellen gerade für die LGBTQI-Community völlig neue Möglichkeiten geschaffen hat, ist nichts Neues. Besonders populär in Kanada – nicht nur, aber vor allem in Toronto’s Gay Village – ist dabei die App ‘Grindr‘.

Dieser GPS-basierte Dating-Service für schwule Männer zeigt auf deinem Smartphone an, wo sich in der näheren Umgebung andere Objekte der Begierde befinden. Das Ganze natürlich mit Foto und Profil, Entfernung in Metern und weiteren Daten, die für ein potentielles sexuelles Zusammenkommen interessant sein könnten. In Kontinentaleuropa meines Wissens nicht allzuverbreitet, nutzen Grindr hier in Kanada deutlich mehr User für “quick, convenient, and discreet sex”. Einige Kommentator_innen wie beispielsweise Polly Vernon vom Guardian sprechen von einer “neuen sexuellen Revolution”. Ob das so stimmt, sei dahingestellt, insbesondere wenn man sich den jahrelangen Erfolg von Webseiten wie Gayromeo (für Deutschland) oder die Dating-Sektion von Craigslist (vor allen Dingen für Nordamerika) anschaut. Was feststeht: Grindr ist ein Erfolg in der Community.

Umso interessanter ist jetzt der Versucher der Entwickler_innen, Grindr auch in die heterosexuelle Sphäre zu verpflanzen. Die neue App heißt ‘Blendr‘ und funktioniert im Prinzip genauso wie Grindr.

Nach den ersten Wochen wird aber klar, dass eines bei Blendr besonders fehlt: Die Frauen.

Weist dies auf fundamentale Unterschiede in der Art, wie (heterosexuelle) Männer und Frauen sich begegnen wollen, hin? Ist das emotionslose, schnelle Treffen nur für manche Teile der Bevölkerung attraktiv? Was meint Ihr?

Vielleicht liegt der relativ Misserfolg von Blendr auch daran, dass die Hetero-App sich nicht die gleichen Sachen traut wie das queere Gegnstück. Eher scheint man sich auf eine Allaround-Version eines sozialen Netzwerks im GPS-Style geeinigt zu haben. Bloggerkollegin Tracy Clark-Flory fragt daher etwas provokant: “Are straight people boring?”  – so würde ich es nicht formulieren, aber vielleicht trifft sie hier ja einen Nerv.

Grund genug, die “neue sexuelle Revolution” weiter zu beobachten: In Kanada und weltweit.

Toronto,


The Great Canadian Appathon

Appathon_1

Schon zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres hat im Oktober überall in Kanada der Great Canadian Appathon stattgefunden.

XMG  ist ein wichtiger Entwickler im Bereich Video Games for Mobile Devices und hat junge Entwickler_innen dazu aufgerufen, ein neues Spiel für Windows Phone 7 zu designen. Als Preisgeld winken 25,000 $!

Ab Freitag, den 30.09., 17 Uhr, konnten sich die Teams an den verschiedenen Standorten melden (in Toronto beispielsweise in den örtlichen Universitäten), um danach bis zum darauffolgenden Sonntag, 17 Uhr in ihren quasi von der Außenwelt abgeschirmten Programmierstätten an ihren Apps zu tüfteln. Wie viel Schlaf dabei an diesem Wochenende rumgekommen ist, bleibt offen. Aber die (hauptsächlich Informatik-) Studierenden, oft schon Hackathon-erfahren, werden wohl bis zum bitteren Ende gekämpft haben.

Die drei Gewinnerteams werden dann eingeladen, am 25. Oktober auf Toronto’s Dundas Square (manche betiteln ihn als den Times Square von Toronto, aber das ist wohl ein bisschen übertrieben…) ihre Spiele vorzuführen. Thema war übrigens ‘Sport’.

Hier dann noch die Gewinner-App des letzten Jahres:

Toronto,


Die Karte des Glücks

Was die Stadtverwaltung von Toronto da mitten im Sommer gelauncht hat, kann sich sehen lassen:

Wellbeing Toronto  – so der einprägsame, wenn auch leider etwas euphemistische Name dieses Tools – ist eine interaktive Open-Data-Karte, die mit allerlei Informationen über die Bevölkerung und verschiedenen neighbourhoods Torontos aufwartet. Die User_innen können aus einer Reihe von soziodemographsichen und ökologisch-ökonomischen Indikatoren aussuchen und die 140 Nachbarschaftsdistrikte miteinander vergleichen.

Dabei sind traditionelle Kennziffern zur Geschlechter- oder Altersverteilung, der ethnischen Zugehörigkeit, Wahlbeteiligung bei Kommunal- oder Parlamentswahlen oder zur Arbeitslosigkeit. Viel interessanter und überraschender allerdings sind andere Zahlen: Die durch den Gini-Koeffizienten gemessene Ungleichheit, die Luftverschmutzung, Brustkrebsvorsorgeuntersuchungen oder die Anzahl der Unfälle mit “Personenschaden”.

wellbeingtoronto_1

Am krassesten sind aber wohl die Daten im Bereich “Crime”: Hier können sexuelle Übergriffe, Einbrüche, Morde, ‘drug arrests‘ oder die Auslastung der 911-Notrufdienste aufgerufen werden.

Dass das auch Probleme mit sich bringen kann, scheint die Stadtverwaltung dabei weniger zu interessieren: Zwar werden Verbrechensstatistiken aufgeführt, aber keine Informationen zur Polizeiaktivität oder anderen staatlichen Eingriffen, die “fear of crime” und Kriminalität selbst beeinflussen könnten. Das lässt oftmals falsche Schlüsse zu und könnte manche Viertel in der Stadt schnell zu ‘No-go-areas’ werden lassen. Auf Datenschutz wird dabei nicht geachtet und viele Immobilienmakler_innen reiben sich wahrscheinlich schon die Hände…

Obwohl zu Beginn noch einige Bugs vorhanden waren, ist Wellbeing Toronto inzwischen seinen Kinderschuhen schon fast entwachsen. Das one-stop-shop-Format, bei dem alle Daten an einem Ort zusammengefasst sind, sucht seinesgleichen. Zwar haben in der Vergangenheit andere Städte wie Los Angeles oder auch die britische Polizei facts & figures im Bereich Verbrechen und ‘Antisoziales Verhalten’ (wie es in Großbritannien heißt) veröffentlicht; der holistische Ansatz ist aber neu.

Wie bei allen Datensätzen gilt aber auch bei Wellbeing Toronto: “Glaube keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast” – wobei ich ‘fälschen’ hier nicht wörtlich sehen würde, sondern als Appell zum “Think twice!”: So hat ein Blogger im Torontoist darauf hingewiesen, dass der Vergleich zwischen generellen Verbrechensraten hinkt, da im groben Vergleich Mord mit leichteren Delikten wie Autoeinbrüchen gleichgesetzt werden. Auch ist die Ungleichheit in den reichsten Vierteln am niedrigsten. Das heißt aber nicht, dass da alles super ist; vielmehr sind dann alle gleich reich und niemand ist arm in Torontos Reichen-Ghetto Sunnybrook. In Kanadas größter Metropole heißt das dann wohl “Wellbeing”.

Alles in allem muss aber gesagt werden, dass der Launch von ‘Wellbeing Toronto’ ein großer Erfolg für die Open-Data-Community ist und so Fort- und Rückschritte in bestimmten Vierteln nun einfach verfolgt werden können.

Vielleicht ja auch ein Weg, um Politik und Verwaltung für die Verbesserung der Lebensqualität – sprich: mehr Wellbeing! – in der Stadt ein bisschen mehr haftbar zu machen.

Toronto,


Liest Du noch – oder SPREEDest Du schon?

Stunden in der Bibliothek verbracht? Beim Krimi vor dem Einschlafen einfach nicht weitergekommen?

Ihr glaubt, ihr könnt nicht schnell genug lesen?

Alle Tricks aus der Mottenkiste ohne Erfolg? Ihr habt nutzlose, überteuerte Turbo-Lese-Trainings ausprobiert?

Aus und vorbei? Die Hoffnung verloren?

verzweifelt

Dann könnte Spreeder DIE Lösung für Euch sein!

 

Die Kanadier_innen auf jeden Fall lieben Spreeder (= Speed Reader). Smartphone raus, App von www.spreeder.com installiert, und schon geht’s los: Die Nachrichten im Toronto Star, e-Journals aus der Universitätsbibliothek oder irgendeinen Text, an dem Ihr Euch schon seit langem die Zähne ausbeißt?

 

Bei Spreeder wachst Ihr über Euch hinaus. Einfach die gewünschte Wordfrequenz einstellen – normales Lesen wären so um die 200 wpm (words per minute), bei 350 wpm wird’s schon schwerer, erst recht bei 550wpm und 1000 wpm ist für die Hardcore-Spreeder – und den Text im Spreeder laufen lassen. Dabei wird Dir Wort für Wort der Text wie im Schnelldurchlauf um die Ohren gejagt, und das Ganze sieht dann in etwa so aus:

 

Der Hintegrund: Wir lesen viel langsamer, als wir eigentlich müssten. Anstatt uns innerlich Wort für Wort laut vorzulesen, stellt Spreeder die innere Stimme aus. Das ist der eigentliche Trick. Unsere Augen können Bewegung gut verfolgen, und statt zuzuhören wird jetzt wirklich gelesen.

 

Natürlich kann die erhöhte Geschwindigkeit auch zu Abstrichen in Punkto Genauigkeit führen, aber wer will schon 20 Seiten statt in 20 Minuten lieber in einer Stunde lesen, wenn das Ergebnis (also das Verständnis des Textes) nahezu das Gleiche ist? Spreeder hilft auch, Dich langsam in Deiner Schnelllesefähigkeit zu steigern. Auch noch ein Lerntool also!

 

Zunächst gewöhnungsbedürftig, wird Spreeder irgendwann zur Sucht – zumindest, wenn man nach den ganzen gestressten Businessmenschen in der U-Bahn, den Mitstudierenden auf dem Campus oder meiner durchgedrehten Chorleiterin geht. Vielleicht schafft Spreeder, das auch schon seit ein paar Jahren auf dem Markt ist, nach Deutschland. Schnelleres Lesen könnten wir alle wohl gebrauchen.