Annette

Annette

London,


Qualität in Serie

Können nur noch Amerikaner Serien fabrizieren über die sich deutsche Feuilletons freuen? Trotz genügend Selbstzweifel könnten britische Produktionen in Europa den Weg weisen zum Phänomen Qualitäts-Serie

wire

Kann in Deutschland eine Serie wie “The Wire” nicht produziert werden? Quelle: http://brodnig.org/2011/07/05/trau-dich-orf/the-wire/

Wir schreiben das Zeitalter der Serie. Zwar sind Serien an sich kein neues Phänomen, aber so eng eingebunden in das persönliche Portfolio wie heute waren sie noch nie. Es heißt nicht: „ja Breaking Bad gucke ich auch immer mal wieder gerne“. Sondern: „Ja, ich gucke Breaking Bad“. Und zwar treu, jede Folge, ohne Wenn und Aber. Die Serien die wir als „unsere“ angeben, gehören irgendwie zu uns und, dass sie sich mit dem regulären Fernseh-Programm messen müssen, steht nicht zur Diskussion.

Mit einer neuen Generation von Serien hat sich nicht nur das Verhalten der Medienkonsumierenden verändert, sondern (entgegen vieler düsteren Prophezeiungen) scheinen niveauvolle Produktionen höchst kompetitiv geworden zu sein.  “Wir erleben die künstlerisch reichste Periode der Fernsehgeschichte”, meint das sonst mit Kritik nicht zimperliche “New York Magazine”. Diese künstlerische Blütezeit scheint aber auf ein Land begrenzt: die USA. Was über den Ozean nach Europa kommt sind Geschichten die sowohl inhaltlich relativ komplex und ästhetisch anspruchsvoll sind und so schaffen es Serien wie The Wire, Madmen oder Breaking Bad in die deutschen Feuilletons – und das keinesfalls als Beispiel des Kulturverfalls, wie so oft deutsche Fernsehformate.

Im Land, das sich gerne als das der Dichter und Denker sieht, wird so beim Thema Qualitäts-Fernsehen neidisch auf die USA geschielt. Im Einklang klagen die deutschen Medienjournalisten (z.B. zuletzt groß im Spiegel), wie jämmerlich und niveaulos alles ist, was die deutschen Sender im Vergleich zu ihren amerikanischen Counterparts auf den Markt bringen. In Deutschland bedeute Serie entweder kitschige Soap oder seichte Unterhaltungen mit immer wiederkehrenden, eindimensionalen Charakteren: Lebensnahe Geistliche, Polizisten, (Land-)Ärzte etc.

Die Entscheidende Frage (die ja auch schon Trendbloggerin Mareike stellt) ist somit: woran liegt das nur, dass in Deutschland das Format Serie sich mit Qualität nicht zu vertragen scheint? Die lauteste Antwort ist: Geld und eingefahrene Strukturen. So verteidigt beispielsweise ARD- Vorsitzender Lutz Marmor das Fehlen von Qualitätsserien in Deutschland gegenüber dem Spiegel damit, dass die amerikanischen Serien Produktionsbudgets hätten, „die in Deutschland nicht zu stemmen sind.“

Hier wird nun der Blick nach Großbritannien interessant. Im Gegensatz zu den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern hat die BBC schließlich einiges hervorgebracht, was durchaus in einer Reihe mit den umjubelten amerikanischen Serien genannt wird. Man denke nur an Sherlock oder Downton Abbey. Und das mit einem geringeren Budget als es ARD und ZDF zur Verfügung haben! Und auch im kleineren Rahmen zeigt sich das britische Fernsehen manchmal überraschend innovativ: so wird schon mal im daytime TV, inmitten von Game- und Talkshows, eine ambitionierte  Dickens – Verfilmung gesendet – und zwar nicht verstaubt und verkrampft auf einen Bildungsauftrag schielend, sondern frisch in Scherlock-Manier.

Geschimpft wird dennoch auch in Großbritannien. Ein Problem, dass hier genauso viel diskutiert wird, wie in Deutschland, ist, dass für Autoren mit kreativen Ideen im bürokratischen Sumpf der Öffentlich-Rechtlichen kein Durchkommen ist. Die BBC ruhe sich auf ihrem Monopol aus beschwert sich Peter Jukes im Prospect Magazine. Fraglos ein Vorwurf der ARD und ZDF nicht fremd sein dürfte. Im Serien-Wunderland USA hingegen sahen sich Sender durch harte Konkurrenz gezwungen –ja, tatsächlich- Qualität zu produzieren.

Amerikanische Sender haben verstanden, dass man um etwas Außergewöhnliches zu kreieren künstlerische Freiräume lassen muss.  Bei HBO zum Beispiel wird „der Autor zum König gemacht“,  wie Serien Autor Gary Shteyngart begeistert feststellt. Und so entstehen gewagte Serien, die andernorts vielleicht kaputtdiskutiert würden.

Werden wir also auch in Zukunft statt den Fernseher anzuschalten uns lieber per Stream oder Video nach New York oder Baltimore versetzen? Prinzipiell gibt es ja durchaus noch Hoffnung für Europa. Großbritannien jammert sowieso auf einem hohen Niveau – und der Erfolg von Qualitätsserien wie Downton Abbey oder Sherlock kann langfristig eigentlich nicht übersehen werden – selbst von Entscheidungsträgern in den Fernsehanstalten. Und auch in Deutschland gibt es doch eigentlich alles, was eine gute Serie am grundlegendsten braucht: künstlerisches Talent und (bei richtiger Prioritätensetzung auch) Geld. Der langjährige Programmverantwortliche bei Kirchmedia, Mojito, betont:” Die deutschen öffentlich-rechtlichen Sender sind die am besten ausgestatteten in ganz Europa. Sie könnten mehr daraus machen.” Und vielleicht machen sie das ja auch irgendwann.

London,


Von heiligen Fakten und neuen Punks

In Großbritannien verschreiben sich immer mehr Journalisten und Interessierte dem „data-journalism“

Die besten Fußballer der Welt – nur ein Beispiel für was auf dem datablog des Guardians alles zu finden ist. Quelle: http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2013/jan/25/worlds-best-footballers-visualised-periodic-table

Während in Deutschland das Konzept des Datenjournalismus gerade erst entdeckt wird, weiß es in Großbritannien schon der renommierte Guardian: facts are sacred. Und Daten sind Fakten. Auf dem hauseigenen datablog der Zeitung wird der Kreativität in Sachen Datenaufbereitung und Themenwahl freier Lauf gelassen: die Namen der besten Fußballer der Welt kann man in Form einer Periodentafel studieren, für den Vergleich der aktuellen Rezession in Großbritannien mit vergangenen Wirtschaftsflauten auf der Insel wird ein traditionelles Koordinatensystem gewählt und wer wissen will wie die britische Regierung ihr Geld ausgibt bekommt durch eine aus bunten Kreisen bestehenden Graphik schnell einen Überblick.

Den Datenjournalismus auf lustige Bilder und kreative Darstellungen zu reduzieren, würde dem Trend jedoch fraglos Unrecht tun. Die DatenjournalistInnen beim Guardian und anderswo stellen Fragen – Fragen über politische, wirtschaftliche oder andere Zusammenhänge, die für sie und möglicherweise ihre LeserInnen relevant sind. Und sie versuchen Antworten zu darauf zu finden. Sie machen somit genau das, was auch ein wichtiger Teil der Arbeit traditioneller JournalistInnen ist. Und dennoch, so argumentieren zumindest die Daten-Pioniere, verändert der Datenjournalismus so einiges daran wie Medien sich verstehen und genutzt werden.

Ist Datenjournalismus so einfach, wie drei Akkorde zu lernen? SImon Rogers sat ja! Quelle: http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2012/may/24/data-journalism-punk

Erstens setzen sich die DatenjournalistInnen nach eigenem Bekennen, viel intensiver und kritischer mit Daten auseinander. Simon Rogers, eine der prominentesten Stimmen aus dem Bereich des britischen Datenjournalismus, wirft traditionellen JournalistInnen vor, sie akzeptierten gewisse Daten zu schnell. Somit ist der Datenjournalismus zweitens eine wichtige und notwendige Reaktion auf die (technisch) einfache Erreichbarkeit einer Unmenge von Daten. Daten sickern nicht nur durch Organisationen wie Wikileaks ins Internet, sondern werden in großem Stil von offizieller Seite online veröffentlicht. Im Falle der britischen Regierung ist eine Unmenge von Daten auf http://data.gov.uk/  einzusehen, aber Rogers betont, dass selbst Länder wie Saudi Arabien oder Bahrain Daten öffentlich machen. Diese Daten wahrzunehmen, zu analysieren und verständlich wiederzugeben ist die nicht zu unterschätzende Aufgabe der DatenjournalistInnen. Drittens wird die strikte Trennung zwischen JournalistIn und Rezipient aufgehoben. Wie Rogers unermüdlich betont, kann jeder DatenjournalistIn sein. Nicht nur stehen die Daten jedem zu Verfügung, sondern auch die technischen Hürden seien gering: eine Reihe von Programmen ermöglichen es auch weniger technisch-affinen Menschen ihre Ergebnisse kraftvoll zu präsentieren (eine Übersicht gibt es beispielsweise hier: http://datajournalismhandbook.org/1.0/en/delivering_data_7.html). Für Rogers ist Datenjournalismus somit der neue Punk. Er argumentiert, dass ganz wie bei der Musik, die auch ohne teure Musikschulen und großes Vorwissen gespielt werden konnte, ist auch die Nachricht des Datenjournalismus: Anyone can do it.

Die selbsternannten Punker haben Recht: es ist wichtig die Chancen der neuen, einfach verfügbaren Datenmassen zu erkennen und diese verantwortungsvoll zu nutzen. Aber Daten können auch nicht alles. So weist Jonathan Grey on der Open Knowledge Foundation in einem kritischen Artikel darauf hin, dass die schönen und scheinbar vollkommen neutralen Datenaufbearbeitungen keineswegs ein direktes und unbeeinflusstes Bild der Wirklichkeit darstellen. Grey vergleicht die Aufregung um den Datenjournalismus mit den Hoffnungen die in den Fotojournalismus gesetzt wurden. Die ersten journalistischen Fotografien im 19. Jahrhundert wurden bejubelt als unvoreingenommene und neutrale Zeugnisse der Wirklichkeit. Heutzutage ist es müßig die manipulativen Fähigkeiten von Bildern weiter zu betonen. Ähnlich vorsichtig wie mit Bildern sollten wir auch mit Daten umgehen. „Fakten sind heilig“ statiert der Guardian, „für eine fakten-basierte Weltsicht“ lautet das Motto der Datenjurnalismus-Website Gapminder. Datenjournalismus ist aber leider nicht gleich pure Faktenwiedergabe, sondern genauso abhängig von der subjektiven Selektion, Interpretation und Wiedergabe der Journalisten. Da dies aber eben für jede Form der journalistischen Verarbeitung der Realität gilt, kann und soll dies kein Argument gegen den Datenjournalismus sein. Es heißt aber, dass der Datenjournalismus mit genau so viel Vorsicht zu genießen und zu betreiben ist, wie jede andere Form des Journalismus.

London,


Youview – die Zukunft des (britischen) Fernsehens?

In Großbritannien erregt die in diesem Sommer gestartete  TV-Plattform YouView Aufsehen.

Zusammen fernsehen - bald Vergangenheit?

Leere Straßen und überfüllte Kneipen und Wohnzimmer. In den sechziger Jahren gute Indizien dafür, dass in der ARD gerade die Krimiserie „Stahlnetz“ ausgestrahlt wird. Der Begriff  Straßenfeger, der in dieser Zeit geprägt wurde, gehört schon jetzt der Vergangenheit an. Besonders jüngere Generationen richten sich nicht mehr nach starren Sendezeiten. Die Lieblingsserie wird wann immer man will im online Stream angeschaut und ein paar Klicks genügen um den Gong der Tagesschau auch nach Punkt Acht Uhr abends ertönen zu lassen.

Das YouView Logo

Youview ist die Antwort der britischen Rundfunkgrößen BBC, ITV sowie Channel 4 und 5 auf diese Entwicklung. Die IPTV Plattform ermöglicht den NutzerInnen Live-Sendungen anzuhalten und zurück zu spulen sowie in der Zukunft liegende Sendungen zum Aufzeichnen vorzumerken. Bis hierhin noch nichts allzu besonderes. Was Youview wirklich interessant macht, ist die Welt sogenannter On-Demand und Catch-Up Angebote, die sich durch das einfache Drücken eines einzigen Knopfs auf der Youview-Fernbedienung eröffnet. Catch-Up bedeutet, dass man das Programm der involvierten Sender bis zu einer Woche später noch abrufen kann, während On-Demand Angebote hier noch weiter gehen und die Nutzer auf einen großen Pool von Filmen, Serien und Musik zugreifen lassen.

Die Box in der so viel stecken soll

Revolutionär – ein Wort das nicht selten in Zusammenhang mit Youview fällt. Von der technischen Seite her bietet Youview zugegebenermaßen wenig, was nicht schon da gewesen wär. Dennoch, so betonen nicht nur die Macher des Produkts, sondern auch die Mehrzahl der KommentatorInnen, ist die TV-Plattform ein bedeutender Schritt in der  Geschichte des Fernsehens. Die einfache Bedienung und die Tatsache, dass YouView kostenlos ist, machen diese Plattform aus. YouView soll somit eine Alternative sein für all diejenigen, denen PayTV zu kostspielig ist oder denen das Abrufen der gewünschten Inhalte durch verschiedene Geräte zu kompliziert ist. Brilliantly simple and simply brilliant – das Eigenlob der YouView–Macher soll Menschen ansprechen, die nur an einem Ort fernsehen wollen – nämlich auf ihrem Fernseher. Ist YouView erfolgreich wäre das somit ein Schritt weg von dem Multiscreen-Prinzip: Im Wohnzimmer würde nur noch auf einen Bildschirm geguckt, da mit YouView der Fernseher alles kann, wozu man sonst verschiedene Geräte bräuchte.
Ganz so wie geplant verlief der Start von YouView jedoch nicht. Das Projekt sollte eigentlich schon 2010 auf Sendung gehen. Vor allem wegen Bedenken der britischen Medienbehörde bezüglich der Rolle des öffentlich-rechtlichen Senders BBC musste der Start jedoch wiederholte Male verschoben werden. Die zwei Jahre wurden auch von der Konkurrenz eifrig genutzt und beispielsweise Sky kann nun mit sehr ähnlichen Angeboten aufwarten. Des Weiteren bezweifeln Kritiker, dass die von YouView anvisierten Pay-TV Verweigerer den stolzen Kaufpreis von 300 Pfund (ca. 375 Euro) zahlen wollen.
Ob Youview ein Erfolg wird, muss sich somit noch zeigen. Was aber für die meisten außer Frage steht ist, dass die Zukunft des Fernsehens „smart“ ist, dass also Smart TVs, die wie Youview das reguläre Fernsehprogramm mit Internetinhalten verbinden, an Bedeutung gewinnen werden.