Anika Maier

Anika Maier

Trenblogger Jahrgang 2011/2012 Namasté. In drei Wochen ist es nun also soweit: Indien calling for Anika. Dort angekommen, werde ich mich zunächst an das Deer Park Institute am Fuße des Himalaya begeben. Eigentlich Kultur-& Medienwissenschaftlerin werde ich mich vor allem mit dem Thema Grenze beschäftigen. Da das Kashmir-Gebiet sehr nah ist, würde ich dort gern die Grenze ablaufen und versuchen herauszuarbeiten, wie sich Identität dort medial vermittelt. Danach werde ich nach China reisen, genauer in die Provinz Qinghai. Tibetisches Hochplateau von über 4000 Metern Höhe. Dort restauriert eine gute Freundin tibetische Häuser, die im Zuge des Erdbebens im letzten Jahr stark verwüstet wurden. Außerdem beschäftige ich mich eingehend mit Dokumentarfilmen, der erste eigene ist gerade fertig geworden. Da Mutti doch Recht behalten hat und Geld gar nicht so unwichtig ist, fertige ich nebenbei Übersetzungen und Lektorate in den Sprachen Deutsch und Englisch an.
Deer Park,


One more time – Eine zweite Chance

Nicht immer verläuft die Liebe nach Plan. Auf der indischen Internetseite www.secondshaadi.com wird für Inder möglich, was hier eigentlich noch recht verpönt ist: Ganz offen stellen sich auf dieser Plattform Singles vor, die alle eins gemeinsam haben: Sie haben eine Scheidung hinter sich. Recht westlich ist die Aufmachung, die Sprache der Seite ist englisch, nicht etwa Hindi oder eine der vielen anderen indischen Sprachen. Möglichst frei soll die Suche sein und möglichst westlich das Resultat.

Neben Aspekten wie Religion und Sternzeichen, die in hier natürlich noch eine viel größere Rolle spielen, kann das Raster durch Hautfarbe, je heller, desto besser, und den üblichen Charakteristika wie Alter, äußeren Erscheinungsmerkmalen, Interessen, Beruf, Essensvorlieben usw. erweitert werden. Das Besondere daran ist zudem, dass das Kastensystem dabei außen vor gelassen wird. „Caste no bar“, heißt es da. Alle sollen die gleiche Chance haben. Ich habe mich einmal eingeloggt und ein Profil für mich erstellt, um zu sehen, wie der Hase hier wirklich läuft. Ich habe mich für indische Verhältnisse möglichst unattraktiv gemacht, mit sehr dunkler Haut, vier Kindern, wenig Bildung, kein M.A., 37 Jahre alt. Ein Foto habe ich nicht hinzufügen können aus offensichtlichen Gründen. Dann habe ich gewartet. Das musste ich allerdings nicht lange.

Als erstes fiel mir auf, dass oftmals nicht die „Bewerber“ selbst, sondern deren Eltern oder Geschwister auf meine Anzeige antworteten. Die Familie drängt sich hier noch ganz anders ins Bild. Gefragt wurde ich außerdem oft nach dem Grund für meine angebliche Scheidung. Dass die Kaste keine Rolle spielt, kann ich nicht sagen, Klassifizierungen sind auf jeden Fall von immenser Bedeutung. Ich wurde viel nach meinen familiären und finanziellen Hintergründen gefragt. Letztendlich scheint die Seite aber den indischen Standards und Vorstellungen von der Ehe nahe zu kommen. Es geht eher darum, ob man in die Familie passt, als herauszufinden, ob da tatsächlich eine tiefere Beziehung entstehen könnte. Hätte ich mich unter meiner realen westlichen Identität eingeloggt, wäre das Resultat sicher entschieden anders ausgefallen.

Erfolgsstorries von Pärchen, die sich über die Seite kennen- und lieben gelernt haben, gibt es zu genüge. Zusätzlich bietet die Seite Artikel zu Beauty- & Beziehungstipps, damit dieses Mal auch alles gut geht.

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Deer Park,


LOCATE yourself

Das Vereinigte Königreich hat sich etwas sehr Nützliches ausgedacht: Reisende britischer Staatsbürgerschaft können sich jetzt über den Service LOCATE registrieren lassen. So kann die britische Botschaft bei einem Notfall, wie Naturkatastrophen, politischen Unruhen oder Anschlägen, etc. Traveller schneller finden und kann zudem bei drohender Gefahr Warnungen per Email an Reisende verschicken. Auch sollte die eigene Familie zum Beispiel bei einem Sterbefall versuchen, einen reisenden Verwandten ausfindig zu machen, ist das mit diesem Service relativ unkompliziert möglich.

Der Service untersteht dem Foreign & Commonwealth Office der Botschaft und funktioniert über das Hinterlassen von verschiedenen persönlichen Daten. Wichtig ist dabei vor allem das Hinterlassen von einer, auch im Ausland, gültigen Handynummer und ausgiebigen Kontaktadressen von Arbeitgebern, Hotels etc. im Reiseland.  Der Regierungsservice wird für umsonst bereitgestellt und unterliegt dem Datenschutzgesetz (Data Protection Act). Trips können bis zu einem Jahr Länge im Voraus bei LOCATE gespeichert werden. Wie genau der Service im Einzelnen funktioniert, ist allerdings nicht weiter beschrieben. Der Service arbeitet zusammen mit der WorldReach Software Corporation.

So soll eine Art Sicherheitsnetz gespannt werden, was es Reisenden, deren Familien und im Zweifelsfall der Botschaft  leichter macht, in Krisensituationen miteinander in Kontakt zu treten. Gerade in Schwellenländern wie Indien kann das sicher ein wenig Beruhigung schaffen. In Notfallsituationen, wie Tsunamis oder Erdbeben, kann dieser Service sicher einige Sorgen ersparen.

Auf der anderen Seite ist dieser nützliche Service natürlich auch ein weiterer Schritt in Richtung Big Brother. Aber ist der Reisezeitraum einmal abgelaufen, werden die Reisedaten angeblich automatisch gelöscht und je nach Wunsch kann man dann wieder in der Anonymität versinken.

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Deer Park,


The wall takes it all!

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Indien ist ein Land der Superlative. Die indische Farb- & Lackfirma Asian Paints hat sich eine besonders social network-wirksame Kampagne für potentielle Kunden ausgedacht. Auf www.youtube.com/royalewall kann man die mit Asian Paints gestrichene Wand herausfordern. Der Deal ist folgender: Die Firma behauptet von ihrem Produkt, es sei so resistent, dass es allen möglichen Gegnern widerstehen könne. Also fordert die Firma Leute auf dem Youtube-Kanal auf, Gegenstände zu nennen, die gegen die in einem kräftigen Apricotton gestrichene Wand geschmissen werden können. Man kann Gegenstände sogar einsenden an die Firmenadresse in Mumbai.

Festgehalten wird das Ganze in einer Art Video-Blog, moderiert von einem sympathischen, Hinglisch sprechenden Master. Die Gegenstände reichen von sahnigen Schockladentorten über schlammige Schuhe und sogar robuste Wecker. Lapidar und sichtlich überzeugt vom Produkt wischt der Master, nachdem der Gegenstand in Zeitlupe auf der Wand aufkommt und geräuschvoll mit Soundcollage unterstützt wird, die jeweiligen Reste von der Wand und hat dann nur noch ein müdes Lächeln übrig: „Is that all you can do?“. Es versteht sich von selbst, dass Spuren nie zu sehen sind.

In den Kommentaren darunter überstürzen sich die Leute fast mit Vorschlägen, was als nächstes geworfen werden solle. Die Ideen gehen von einem i-Phone über Chicken Tikka Masala bis hin zu Kuhdung. Moderiert werden die Vorschläge von einem Web-Host, der identisch mit dem netten, untersetzten Master im Video sein soll. Also, wer schon immer mal sehen wolltet, wie gut sich eine gute Ladung Matsche an einer Wand macht, hier könnt ihr es herausfinden. Den Indern scheint das große Freude zu bereiten…

Auf Vorschläge von Edding, Filzstiften und was sich sonst noch gut in kleinen, klugen Kinderhänden macht, wird komischerweise nicht eingegangen. Vielleicht ist das die Schwachstelle der Wand. Kindermalereien kann keine Wand widerstehen.

Deer Park,


Kugelschreib' me up!

 

Spannend an gegenwärtiger Kunst ist, dass sie alles kann und alles darf. Die indische Künstlerin Ritu Jain findet für diesen Gedanken eine sehr simple und daher umso bestechendere Ausdrucksform. Ihre Bilder verbinden zwei Welten, die man, abgesehen von oft mit Grauen beäugten Baumarkt-Kandinsky/Miró/van Gogh-Fertigrahmungen im Einwohnermeldeamt oder in Anwaltskanzleien, selten zusammen denkt: Kunst und Büro, ich will schon fast sagen, Bürokratie. Ihre Motive, solange man sie überhaupt Motive nennen kann, zeichnete sie in ihrer just in Delhi beendeten Ausstellung „Still…within“ ausschließlich mit Kugelschreibern. Blau, schwarz, rot. Mehr gibt es nicht. Materialien sind für Ritu lediglich Werkzeuge. Was der Betrachter letztlich daraus macht, ist natürlich divers und kennt keine Limitationen. Klar. Folgt man der Maxime der modernen Kunst, soll diese schließlich nicht das Sichtbare abbilden, sondern etwas sichtbar machen, was anderenfalls verschlossen bliebe.

Ordnung und Chaos sind gemäß der Moderne zentrale Themen in ihren Bildern, mit sanften Formen, mal räumlich, mal taktil. Es geht dabei um eine Kunstbewegung, die sich vom Materiellen und Chaos hin zum Spirituellen und Rhythmischen entwickelt. Sowohl der Prozess der Herstellung als auch der Prozess der Betrachtung hat hierbei einen meditativen Ursprung und eine meditative Absicht. Alles ist verbunden. Obwohl Ritu sich selbst nicht als Buddhistin bezeichnet, sieht sie klare Verbindungen zur buddhistischen Tradition. Es soll nicht blind geglaubt, sondern bewusst erkannt werden. Und sie ist nicht die einzige in Indien, die sich dieser Entwicklung hingibt. Zahlreiche Künstler befinden sich auf ähnlichen Wegen und immer geht es darum, Kunst nicht nur als Ornament, sondern eben auch als Bestandteil von Meditation auf beiden Seiten zu betrachten.

So findet Geburt in ihren abstrakten Bildern ebenso eine Ausdrucksform wie Tod, Kosmologie, Chaos und Ordnung, aber auch ganz konkrete Dinge und Formen, wie Haar oder Fell. Die Assoziation Büro, die bei der Verwendung von Kulis bei mir direkt einsetzt, bindet diesen ernsthaften Themen einen Wolf auf und entwickelt somit eine unerwartet humorvolle Ebene. Der Mensch ist nie fertig, immer muss er weitergehen in seiner Entwicklung. Linien verbinden sich, finden kein Ende, verlieren sich im Chaos, tauchen an anderer Stelle wieder auf. Manche Bilder der Ausstellung wirken, als würden sie gleich einstürzen. Gleichzeitig verzeichnen sich andere Formen in ihren Wiederholungen wie ein seismografisches Mantra. Der Atem Indiens. Ein stabiles Chaos, über das man sich manchmal nur wundern kann. „That’s India“, sagt Ritu darauf. Eine gelungene Aussage.

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Deer Park,


Mönch digital – Ein Gedanke

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Widersprüche scheinen Indiens Essenz zu sein: tibetisch-buddhistische Mönche auf Motorrädern, ausgestattet mit den neuesten Spaceship-Mobiltelefonen. Klar, die müssen natürlich auch wissen, wann ihre Teachings oder Pujas (Gebete) beginnen. Ist ja nicht so, als stünde das in die Klostermauern gemeißelt. Aber skurril ist das schon. Vielleicht können sie damit ihre Götter anrufen? Ich habe mir sagen lassen, dass sie sich mit den neuen Geräten tatsächlich Gebete und Audioaufnahmen berühmter Lamas (die Priester, nicht die Tiere) zukommen lassen. Wann wird es den ersten App zur Weißen Tara geben?

 

Noch bin ich neu in diesem Land, aber eines ist jetzt schon sehr deutlich. Indiens ausgeprägte Spiritualität und Tradition flechten sich in jegliche alltägliche, noch so moderne, Aktion ein. So auch die lustigen Widersprüche wie Mönch/Blackberry. Ich lausche immer wieder Gesprächen, die sich aufgebracht damit beschäftigen, welcher wissenschaftliche Ansatz denn nun der angebrachte für die Zukunft der Welt sei. Denn, und hierbei sind sich West und Ost einig, getan werden muss etwas. Probleme gibt es genug, „You just pick one“, sagte einer der Mönche zu mir. Da ich selbst ja auch Kind der westlichen Wissenschaften bin, ist das natürlich ein spannender Punkt.

 

Die Idee ist folgende: Im Westen zählen in den Wissenschaften äußere Fakten. Zahlen, Erhebungen, Experimente. Greifbar muss es sein und schön nachvollziehbar auf dem Papier. Sonst nennen wir es nicht Wissenschaft, sondern Esoterik, Romantik, Phantasie oder finden andere schöne Worte, die auf jeden Fall nicht den hohen Ansprüchen der Wissenschaft gerecht werden. Hier setzt nun der „östliche Ansatz“ ein. Dieser speise sich aus inneren Erfahrungen und geistigem Verstehen. Aber wie genau sollen die beiden konträren Ansätze verquickt werden?

 

Die westliche Wissenschaft hat in der Welt noch immer das letzte Wort. Stimmen werden hier in Indien, besonders in den tibetisch-buddhistisch beeinflussten Gebieten, immer lauter, dass dies allein den globalen Problemen nicht mehr allein gerecht werden könne. Um Probleme deutlich zu machen, wie zum Beispiel Müllproduktion und –verwertung, sei es nötig, zunächst für ein inneres Verständnis in den Menschen zu sorgen. Und das ist seiner Natur nach höchst subjektiv. Dementsprechend mit unserem westlichen Verständnis von Wissenschaft nur sehr schwer in Einklang zu bringen. Aber sicher nicht unmöglich. Vielleicht sollte Meditation als Vergegenwärtigungs-Strategie von beispielsweise Müllvermeidung eingesetzt werden.

 

Nicht zuletzt seien Indien und auch China wegen ihrer anhaltenden alltagsgebundenen Spiritualität auf dem Vormarsch. Gott ist tot, wissen alle Westler und das nicht erst seit Nietzsche. Wir verlassen uns auf unsere Fakten in Graphen und Statistiken, da haben wir etwas, dem wir vermeintlich trauen können. Aber vielleicht wäre eine Synthese zwischen beiden Systemen tatsächlich ein Weg der Annäherung, von dem die Welt profitieren könnte. Und da wären wir wieder bei unseren Mönchen. Sie geben ein gutes Beispiel dafür, dass westliche und östliche Ideen sich nicht unbedingt widersprechen müssen, sondern sinnvoll genutzt werden können. Letztendlich kommt es auf den User an. Und so ein Mönch auf seinem Bike mit Blackberry hat schon was.