Freiburg,
Studentin an der Universität Freiburg; zur Zeit wohnhaft in London, der Stadt der langen Arbeitswege, bärtigen Menschen auf Klapprädern, teuren Biere, Messerstechereien und 70er-Jahre-Revival-Outfits, in der jeder zweite Ausländer und deshalb jeder Ausländer zu Hause ist.


Großmutters Weisheit als App: Smart Birding

Bearbeitet. Copyright: Dmitry Ryzhkov

Bearbeitet. Creative Commons. Original: Dmitry Ryzhkov

Mit der App Smart Birding kann man Vogelrufe mit dem Handy aufnehmen und sich dann sagen lassen, was es für ein Vogel ist. Das ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie sich der Wissensschatz unserer Kultur digitalisieren lässt. Alles, was wir im Internet nachschlagen können, verschwindet aus unseren Köpfen. Das muss so. Warum das unausweichlich und auch gut so ist?

Wenn ich früher mit meiner Oma draußen mit dem Hund Gassi gegangen bin, konnte das hin und wieder zu großer Entrüstung auf Seiten meiner Oma und ausgesprochener Genervtheit von meiner Seite her führen. Ich kenne zwei Vögel beim Namen: Storch und Rabe. Alles, was man gut mit dem Schuh kicken könnte, ist ein Spatz für mich. Gras ist Gras; ich sehe da zwar Unterschiede und weiß, dass mich manche zum Niesen bringen und andere nicht, und das Gleiche gilt für Bäume. Die einzigen Blumen, die ich kenne, sind Rosen und Sonnenblumen. Und ich behaupte: Das geht dem Großteil meiner Generation so. Meine Oma hingegen konnte Vogelrufe erkennen, Gräser und Bäume benennen, kannte Tierarten beim Namen, konnte giftige von essbaren Pilzen trennen und im Prinzip die ganze Welt erklären – auf ihre Art. Aus ihrer sehr subjektiven, individuellen, deutschen Perspektive des 20. Jahrhunderts. Heute ist das anders – heute wird alles, was man wissen will, gegoogelt. Mit sehr hoher Erfolgsquote – aber es ist natürlich etwas anderes, ob man Wissen aktiv parat hat, oder das, was einen interessiert, gezielt nachschlägt. Der individuelle Wissensschatz eines jungen Menschen im 21. Jahrhundert unterscheidet sich dramatisch von dem einer Person aus der Generation unserer Großeltern. Aber wissen wir wirklich weniger, oder wissen wir nur andere Sachen, und was ist besser, oder kann man das nicht sagen?

Es ist eine durchaus vorhersehbare Entwicklung, das mit der Digitalisierung. Alles begann mit Kulturen, in denen man keine Schrift kannte – alles wurde mündliche weitergegeben: In Form von Gedichten, Liedern und so weiter. Also gab es zum Beispiel ein kleines Volk im Dschungel, das hatte einen „Weisen“, und der wusste das meiste von allen. Der konnte einem die Geschichte des Volkes vorsingen, und der kannte die Heilkräuter und wusste Geschichten von den Göttern zu erzählen. Vielleicht gab es auch zwei oder drei davon, aber egal, wie viele es gab: Das Risiko, dass alle dieser Weisen von einer Epidemie dahingerafft würden, bestand immer – und damit bestand auch immer das Risiko, das gesammte Wissen einer Kultur auf einen Schlag zu verlieren. Bei Kulturen, die die Schrift kannten, war es schon besser: Man konnte Sachen in Büchern aufschreiben – war zwar eine Scheißarbeit, weil man die ja immer wieder abschreiben musste und dabei auch viele Fehler passieren konnten, aber immerhin konnte man mehr „speichern“, als sich ein einzelnes Gehirn merken kann, und es war ein wenig sicherer – außer natürlich, das Archiv brannte ab. Dann war das auch alles weg, im schlimmsten Fall.

Heute digitalisieren wir unser Wissen: Alte Artefakte, die vom Verrotten bedroht sind, werden fotografiert oder gescannt, Bücher werden digitalisiert, und fast alles, was wir heute produzieren, ist ohnehin schon digital. Wir speichern unsere Hausarbeiten und wichtigen Dokumente in der Dropbox, so dass sie nicht verloren gehen, wenn mal der Computer verreckt – und genauso ist es natürlich mit den „wirklich wichtigen“ Sachen auf der Welt, die liegen natürlich auch nicht nur auf einer einzigen Festplatte. 100% unsterblich ist das natürlich immer noch nicht – auch digitale Medien haben ein Ablaufdatum und es kann theoretisch immer zum Super-Gau kommen, aber ihr versteht, was ich meine. Wir haben heute gewaltige Kapazitäten, Wissen abzuspeichern und für alle zugänglich zu machen: über’s Internet.

Natürlich ist das anders als zu Großmutter’s Zeiten, und während die Nostalgiker natürlich zehntausend Sachen finden, die am Alteingesessenen besser sind, kann selbst ich nicht leugnen, dass es schön ist, Sachen selber zu wissen. Man ist versucht anzunehmen, dass der Kluge Mensch Sachen weiß, während der Geschickte Mensch Sachen nachschlägt. Aber ich glaube, das ist wie mit den Papierbüchern und den Plattenspielern. Wir können uns nur schwer vom Gewohnten trennen, aber das Alte ist weder besser noch schlechter – es ist einfach anders. Und das Neue hat Vor- und Nachteile dem Alten gegenüber. So ist es doch eigentlich total geil, dass wir alle total viel im Handumdrehen herausfinden können, und Wissen nicht mehr nur was für die Elite ist. Und dass wir Sachen schneller und effektiver machen können. Ich sage: Hoch lebe das Internet! Meine Oma sagt: Die Jugend von heute…

3 KOMMENTARE , GEBE EINEN KOMMENTAR AB

  1. Ich glaube auch, dass das „Früher“ und das „Heute“ Vor- und Nachteile hat. Ich ertappe mich aber manchmal dabei, dass ich gerne mehr in meinem Gedächnis behalten würde, aber durch die Möglichkeit es Nachschlagen zu können, kommt es irgendwie nur ins Kurzeitgedächnis. Irgendwie ist da schon schade …

    • Ich hatte aber auch so eine Oma, die sämtliche Pflanzen kannte und auch kleine Haushaltstricks kannte und so … ich profitiere noch heute von ihrem Wissen. Ich bin gespannt was spätere Generationen über die jetzige erzählen.

  2. Ich finde ja auch, jeder so, wie er will und sich am besten (oder intelligentesten…) fühlt! Aber das es einen Trend in diese Richtung gibt, kann und sollte man auch nicht aufhalten, glaube ich…