Trendblogger-Jahrgang 2013/2014 Hej! Schweden – das Land im Norden Europas weckt viele Assoziationen. Doch das skandinavische Königreich hat neben Elchen, Pippi Langstrumpf und IKEA noch viel mehr zu bieten. Als Erasmus-Studentin studiere ich für zwei Semester in der Hauptstadt Stockholm Politikwissenschaft. Stockholm ist das Epizentrum dieses vor Innovationen strotzenden Landes. Hier schlägt nicht nur das politische und kulturelle Herz Schwedens – auch die neuesten Medieninnovationen nehmen von hier aus ihren Weg in die Welt. Kein Wunder: In Stockholm herrscht eine sehr hohe Dichte an jungen Start-Ups und Internetunternehmen. Als Trendbloggerin werde ich in den nächsten 10 Monaten die neuesten Medientrends aufspüren und sie mit euch teilen. Ich freue mich sehr über all eure Reaktionen, Meinungen, Kommentare, Fragen und Anregungen!


„Wer ist Veronika?“ – eine mysteriöse Online-Identität beschäftigt ganz Schweden

Titelseite der Gratiszeitung Metro in Schweden: "Wer ist Veronika?"

Titelseite der Gratiszeitung Metro in Schweden: „Wer ist Veronika?“

Die Geschichte klingt wie aus dem Drehbuch eines fulminanten Hollywood-Blockbusters. Vor gut einer Woche veröffentlichte die schwedische Ausgabe der Gratiszeitung „Metro“ eine unglaubliche Story: „Wer ist Veronika?“ stand groß auf der Titelseite, daneben vier Fotos einer jungen blonden Frau. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der jungen Frau bloß um einen Fake. Jahrelang war sie mit einer falschen Identität unter dem Namen „Veronika Larsson“ im Netz unterwegs. Auf unzähligen Blogs, Foren und Sozialen Medien. Unter anderem auch unter dem Blogger-Synonym „TheIneffableSwede“.

Aber der Reihe nach…

Der Fall beginnt als der schwedische Metro-Journalist Jack Werner den Autor bzw. die Autorin eines Kommentars in der britischen Zeitung „The Guardian“ ausfindig machen möchte. Der Kommentar von „TheIneffableSwede“ hatte Aufmerksamkeit erregt: Darin wird der Geschäftsführer einer prominenten Computerspiel Firma beschuldigt, sexistische Kommentare im Forum des Computer-Spiels zu ignorieren. Aufgrund der Debatte, die der Kommentar losgetreten hatte, möchte Jack Werner den Autor bzw. die Autorin für ein Interview treffen. Eine übliche journalistische Recherche in Zeiten des Internet, so scheint es.

- Auf dieser Seite hat "TheIneffableSwede" einen folgenreichen Kommentar hinterlassen - ein Kommentar, der ihr falsche Persönlichkeit ans Licht gebracht hat

– Auf dieser Seite hat „TheIneffableSwede“ einen folgenreichen Kommentar hinterlassen – ein Kommentar, der ihr falsche Persönlichkeit ans Licht gebracht hat

Dem Journalisten gelingt es zunächst mit Erfolg: Schnell findet der Journalist Werner heraus, dass es sich bei der Autorin des Kommentars um eine junge Schwedin namens „Veronika Larsson“ handelt. Doch je mehr sich Werner in die Online-Vergangenheit der jungen Schwedin gräbt, umso mehr Hinweise findet er, dass „Veronika Larsson“ bloß eine falsche Identität im Internet  ist. Es gibt sie. Aber nur im Netz. Sie ist vollkommen fiktiv. „Veronika Larsson“ ist das komplexe Konstrukt einer falschen Identität: Sie existiert nicht in der Realität und dennoch ist sie seit etwa sechs Jahren sehr aktiv im Internet unterwegs. Auf sozialen Medien wie Facebook, Google Plus, Flickr, Blogs und diversen Foren. Jemand hat ihr ein komplettes, künstlich geschaffenes Leben im Internet aufgebaut.

So betreibt sie eine aktive Facebook-Seite…

Veronika Larsson hat eine eigene Facebook-Seite - sie ist so perfekt imitiert, dass keinem ihrer Freund_innen die falsche Identität aufgefallen ist

Veronika Larsson hat eine eigene Facebook-Seite – sie ist so perfekt imitiert, dass keinem ihrer Freund_innen die falsche Identität aufgefallen ist

…und einen eigenen, persönlichen Blog.

Unfassbar: Veronika Larsson hat sogar eine authentische eigene Website

Unfassbar: Veronika Larsson hat sogar einen authentischen eigenen Blog

Wer auch immer hinter der falschen Identität von „Veronika Larsson“ steckt – er oder sie scheint nicht nur  sehr intelligent sondern auch strategisch wohl überlegt in seinem oder ihrem Vorhaben zu sein. Und  auch unheimlich fasziniert von der Idee einer falschen Realität und dem Hineinschlüpfen in fremde Rollen sein. Wie ein_e Roman-Autor_in muss sie eine genaue Liste mit all ihren Lügen geführt haben, damit das Online-Leben der „Veronika Larsson“ in sich perfekt und stimmig ist.

Über Jahre hinweg hat sich der Erfinder oder die Erfinderin der „Veronika Larsson“ bei einer anderen Facebook-Userin namens Tiffany Nichole Olson aktuelle Fotos besorgt und damit das Leben der „Veronika Larsson“ nicht nur ausgeschmückt, sondern ganz real gemacht. Natürlich hatte die ahnungslose Amerikanerin Olson keinen blassen Schimmer, dass ihr Gesicht für eine falsche Online-Existenz missbraucht wird. Ab jetzt wird ihr Gesicht für immer mit diesem Namen im Netz verbunden bleiben. Mit Hilfe von Googles Bilderkennungssuche machte der Journalist Jack Werner die wahre Person auf den Fotos, die Amerikanerin Tiffany Nichole Olson, ausfindig.

Einer der ersten Treffer erweckt den Anschein, als Veronika Larsson eine echte Persönlichkeit ist

Veronika Larsson erscheint bei der Google-Suche als einer der ersten Treffer – dabei ist sie eine reine Fiktion

Die Person hinter der falschen Identität muss außerdem unheimlich engagiert und überzeugt von ihrem Projekt sein: Die falsche Identität der „Veronika Larsson“ online zum Leben zu erwecken und sie aktiv an politischen Diskussionen, Foren, sozialen Medien und Freundeskreisen teilhaben zu lassen erfordert einen unglaublichen zeitlichen Aufwand. Es kommt einem Teilzeitjob gleich. Und das alles über sechs Jahre lang.

Das Verrückte: Hin und wieder gab „Veronika Larsson“ versteckte Hinweise auf ihre falsche Identität. So stellte sie in einem Beitrag im Online-Forum des Spiels „Second Life“ die rhetorische Frage danach, ob sie wirklich existiere. Veronika Larsson – ein jahrelanges Spiel mit Realität und Fiktion, ermöglicht durch die vielfältigen Spielarten des Internets.

Seitdem der Artikel vergangene Woche von Metro veröffentlicht wurde, debattiert ganz Schweden in der Kaffeepause über den seltsamen Vorfall und die große Frage, die bis auf Weiteres bleibt:

 Wer steckt hinter der Identität von „Veronika Larsson“?

Um die Geschichte vollkommen nachvollziehen zu können, empfehle ich die Lektüre des Original-Artikels, der auf Englisch übersetzt wurde. Er wurde bis jetzt von über 3000 Facebook-Usern geliked. Er kann in voller Länge auf Englisch hier nachgelesen werden:

http://www.metro.se/veronika/who-is-veronika/EVHmja!WDI1wIPdrXLs6/

Mehr zum Thema:

  • Wer die Geschichte der Veronika Larsson in Bildern nachvollziehen möchte, findet hier eine ausführliche Bildergallerie mit diversen Spuren, die sie im Netz hinterlassen hat.

http://www.metro.se/veronika/bildspel-vem-ar-veronika/EVHmja!EuhWdifw0C7yQ/

  • Diese unglaubliche Geschichte der „Veronika Larsson“ erinnert stark an die MTV Serie „Catfish“ in der es um falsche Identitäten auf Online-Dating Website geht. Tatsächlich denkt das Opfer des „Veronika Larsson“ Falles – die junge Amerikanerin Tiffany Nichole Olson, die über Jahre unwissentlich das Gesicht für „Veronika Larsson“ war – darüber nach, ihre Story der Sendung anzubieten. Würde dabei gar am Ende die wahre Identität des Menschen hinter „Veronika Larsson“ ans Tageslicht kommen? Und wäre das nicht eher kontraproduktiv?
  • MTV Catfish

http://www.mtv.com/shows/catfish/series.jhtml

  • Die Story der „Veronika Larsson“ hat mich außerdem an die crossmediale, deutsch-französische Fernsehsendung „About:Kate“ erinnert, die seit diesem Jahr auf ARTE ausgestrahlt wird. In der Sendung soll der Einfluss moderner Technologien auf unsere Identitätsfindung und unsere Seh- und Denkgewohnheiten untersucht werden. Großartige Sendung, die ich nur wärmstens empfehlen kann!
  • About Kate

http://kate.arte.tv/de

 Zum Schluss noch ein Meta-Hinweis: Dieser Artikel wurde verfasst von mir, Isabel Lerch.

Was ist eure Meinung zu dieser unglaublichen Geschichte? Schreibt mir doch einen Kommentar, gerne auch unter einem falschen Namen, denn: Ich freue mich über jede Reaktion von euch! :-)

14 KOMMENTARE , GEBE EINEN KOMMENTAR AB

  1. Da wird wohl auf den zukünftigen Kaffeeklatsch-Koventen lange drauf rum gemunkelt.
    Das Wesentliche des ein wenig Unwesentlichem hast du knackig und spannend zusammen gefasst und ihm mehr Klasse gegeben als es im üblichen Boulevard Trott je bekommen hätte. Good job!

  2. Fascinating article! When I read this article I remember an American surprising movie called S1m0ne about the imaginary identity of a woman star Simone which is famous everywhere in the wolrd…=)

  3. Sehr krass – aber das heftige ist ja, dass durch die Medienberichterstattung immer wieder die falschen Fotos der Veronika Larsson genutzt werden und mit dem falschen Namen in einen Kontext gesetzt werden.

  4. Ja, ich teile deine Meinung absolut Karsten und deswegen hatte ich auch ein wenig Bauchschmerzen als ich diesen Artikel geschrieben und mit all den Fotos versehen habe. Denn so reproduziere ich schliesslich auch diese Verbindung zwischen dem Namen und dem Bild, der betroffenen Amerikanerin.

  5. Eine Geschichte die sehr gut das Internet unserer Zeit widerspiegelt. Falsche Persönlichkeiten gibt es schon so lange wie das Internet. Dass es allerdings möglich ist, ein ganzes Leben so stringent aufzubauen, geht erst seit wir auch unser tatsächliches Leben online stellen. Auch wenn der Trend weiter in Richtung Online Vermarktung der eigenen Person geht, so sind wir uns in 5 Jahren vielleicht schon viel mehr über deren Konsequenzen bewusst. Über Klarnamen im Internet wird immer häufiger diskutiert und irgendwann wird vielleicht auch sowas wie ein Internet-Pass (siehe schwedische P-Nummer, Twitter verification für Promis) auftauchen.

  6. Sehr interessanter Artikel, auch wenn sich ein paar Rechtschreibfehler eingeschlichen haben.
    Erinnert mich an eine Begebenheit, als ich eine Facebookseite für einen Freund betrieben habe, der kein Facebook hatte…

  7. Auf Google+ gab es diesen Kommentar zu meiner Frage, wie die Journalisten die ethische Dimension dieses Falles einschätzen und ob man das Foto verwenden sollte:

    „Ich finde, die Antwort ist ganz einfach: Nein, darf man auf keinen Fall. Denn das Foto gehört zu einem Opfer und das ist absolut schutzwürdig (nebenbei auch Recht am eigenen Bild!). Und weil es sich bei dem Foto-Klau außerdem nur um einen boulevardesken Medien-Blurb und nicht um ein schweres Verbrechen handelt, wird die reale Person, die auf dem Foto abgebildet ist, auch nicht zum relativen Person der Zeitgeschichte. Also schon rein rechtlich ein absolutes no-go. Und ethisch ohnehin, wie ich finde..“

    Ich finde das Argument interessant und deswegen poste ich es hier. Aber ich finde man kann das nicht so einfach mit Ja und Nein beantworten. Vielleicht hätte man die Bilder verpixeln müssen, damit die reale Person geschützt wird.

  8. Ich finde es auch schwierig, diese Frage zu beantworten. Beim nächsten Mal werde ich mir auf jeden Fall zweimal überlegen, wie ich das mit den Fotos handhabe. Danke für den Kommentar!

  9. Schon etwas gruselig die Vorstellung, dass mensch mit einer falschen Identität im Internet solchen Schabernack treiben kann. Da überlege ich mir ob ich mich nicht endgültig von fb verabschieden sollte. Wenn virtuelle Identitäten inzwischen schon so manifest sind, dass wir uns überlegen müssen, ob wir uns nicht einen Internet-Pass ausstellen lassen müssen überkommt mich schon ein orwellsches Kribbeln… Guter Blog, fühle mich durch die Beiträge aus Schweden immer wieder unterhalten und auf den neuesten Stand gebracht! Gibts schon ein neues Thema?

  10. Really recent story, I wonder how many similar ones remain uncovered. Would be interested in reading more!

  11. Ich fine den Aspekt einer virtuellen Identität an sich ziemlich spanned. Auch wenn Isabel hier ein sehr extremes Beispiel einer ‚falschen Identät‘ beschreibt, stellt sich doch auch für jeden Nutzer eines sozialen Netzwerkes die Frage, wie man sich in einem virtuellen Raum möglichst real beschreiben ist. Liegt da nicht schon ein paradox in der Begrifflichkeit real vs. virtual? Sind nicht viele eher dazu geneigt sich besser, abenteuerlustiger, interessanter, klüger, hübscher usw. im Internet zu präsentieren als man in der Realität ist?

  12. Oho, jetzt wird´s ja richtig philosophisch hier, das gefällt mir! :-) Aber das Thema gibt diese Dimension ja auch her. Reale vs. virtuelle Identität – wir stellen wir uns möglichst realitätsgetreu im Netz da? Müssten wir da nicht über die Wahrheit diskutieren und darüber, ob es so etwas überhaupt gibt? @Korinthenkacker_In89: Ja, es gibt schon ein neues Thema und wenn alles gut geht, gehe ich heute damit online! :-)