Stockholm,
Trendblogger-Jahrgang 2012/2013 Schweden steht für endlose Wälder und Seen; die Natur bestimmt dieses Land. Gleichzeitig gilt es als eines der innovativsten und offensten im Bereich der Technik und Neuer Medien. Wer kennt oder nutzt nicht Skype oder Spotify? Wie das zusammenpasst, möchte ich in meinem Auslandssemester in Stockholm gerne herausfinden - und meine Erfahrungen mit euch teilen.


Die Klarheit aus Norwegen

Norwegische Aufgeräumtheit: Das Osloer Opernhaus vor dem Sitz von Aftenposten (hinten links)

Norwegische Aufgeräumtheit: Das Osloer Opernhaus vor dem Sitz von Aftenposten (hinten links)

Wie erreiche ich die Aufmerksamkeit der Leser? Diese Kernfrage stellen sich Journalisten jeden Arbeitstag. Das Internet stellt dabei neue Herausforderungen – aber auch Erleichterungen. Auf der Suche nach Lösungen: Ein langer Streifzug durch die skandinavischen Zeitungsseiten und ein modernes Beispiel.

So ein Mist! Schon wieder den Anschluss verpasst. Enttäuscht stehe ich an der U-Bahn-Haltestelle Slussen in Stockholm und schaue mich halb genervt, halb neugierig um. Die Menschen neben mir sind ausnahmslos mit Ihren Smartphones beschäftigt – keine Seltenheit in diesem Land. Sie scheinen sehr beschäftigt und gebannt von dem, was sie da sehen. Kommunikation Fehlanzeige. Zumindest nicht mit mir. Ich drehe mich herum – und entdecke etwas fast Vergessenes: einen Zeitungsstand. Wie magisch angezogen trete ich näher…

Über Jahre, vielleicht Jahrzehnte war dies die Hauptpräsentations- und Vergleichsfläche für Wortjournalisten. Nur am Zeitungsstand, Kiosk oder der Bahnhofsbuchhandlung konnte man die Schlagzeilen, Nachrichten, Bilder und deren Aufmachung der unterschiedlichen Blätter miteinander vergleichen. Anders heute: Vermutlich bilden die Leute mit den Smartphones neben mir die Mehrheit, wenn es um den Zugang geht, über den die meisten journalistischen Nachrichten an den Leser gelangen. Und doch ist etwas unveränderbar.

Früher? Zum Frühstück eine Zeitung vom Kiosk (Foto: mallol)

Früher? Zum Frühstück eine Zeitung vom Kiosk (Foto: mallol)

Denn auch auf jeder Internetseite muss ich meine Nachrichten und Bilder ansprechend präsentieren, in Szene setzen und dem Besucher der Seite schmackhaft machen. Sonst habe ich keine Chance, der Nutzer klickt weg oder surft die nächste Seite an. Und das kann er in seinem Browser sicherlich viel schneller machen als er die Zeitung entsorgt, die er sich gerade gekauft hat. Andererseits hat die Nachrichtenseite im Internet technische und optische Möglichkeiten, die Aufmerksamkeit des Lesers zu vergrößern.

Vom Wegklicken und optischen Möglichkeiten

Dabei müssen Zeitungen gar nicht so weit gehen, gleich ganze TV-Sender zu eröffnen – die meisten von ihnen binden Bilder und Videos auf ihren Seiten ein. Und auch andere Möglichkeiten der Visualisierung, zum Beispiel im Datenjournalismus, werden immer wichtiger.

Zurück also zum Zeitungsstand. Dieser befindet sich nun nicht mehr in der U-Bahn-Haltestelle, sondern bei mir zu Hause am Rechner. In meinem Browser öffne ich die wichtigsten schwedischen Nachrichtenseiten – und zum Vergleich nehme ich die skandinavischen Nachbarländer Dänemark und Norwegen gleich mit dazu. Welche Unterschiede stelle ich zu den wichtigsten deutschen Seiten fest?

Die Enttäuschung vorab: Auch in Skandinavien hat keine der großen Zeitungen die Nachrichtenseite neu erfunden. Doch gibt es deutliche Unterschiede innerhalb Skandinaviens und auch zu den großen deutschen Portalen, einige Eindrücke, die mir gefallen, und ein vielleicht zukunftsweisendes Beispiel.

Nehmen wir die Top-Meldung: SPIEGEL ONLINE verkauft sie uns mit Dachzeile und Headline und lässt dann ein Bild im Breitformat folgen. Ähnlich Süddeutsche.de. Bei beiden Portalen locken darüber hinaus Teaser auf den „mehr…“-Knopf, verwandte Artikel runden das Segment ab.

Der Blick auf die skandinavischen Nachrichtenseiten

Ein wenig daran erinnert die Seite der Jyllands-Posten aus Dänemark. Und auch die dänische BERLINGSKE (Respekt übrigens für diese URL!) bedeckt die gesamte Fensterbreite mit der ersten Nachricht. Doch alle anderen skandinavischen Beispiele setzen nicht mehr eine Meldung mit Bild gleichzeitig durch Größe und Höhe prominent. Auf Höhe der ersten Meldung beginnt bei DN.se (Schweden), SVENSKA DAGBLADET (Schweden) und Aftenposten (Norwegen) auch ein weiteres Element.

Das mag dem einen oder anderen nun wie „Korinthenkackerei“ vorkommen – kann aber für jeden Journalisten und Mediendesigner eine wichtige Inspiration für späteres Aufmachen von textlichen Inhalten sein: Bei DN.se, der Seite von Dagens Nyheter, überfällt den Betrachter dann allerdings ein Wust aus unterschiedlichen Meldungen und Texten, der Leser kann sich darin verlieren. Dafür bietet die Seite verhältnismäßig viel Text, erinnert an die deutschen Beispiele. Das SVENSKA DAGBLADET teilt die Seite in der Mitte, gibt links schriftliche Informationen und setzt rechts ein Bild oder Video.

Vereinfachtes Design von aftenposten.no

Vereinfachtes Design von aftenposten.no

Beeindruckend nun die nähere Betrachtung des norwegischen Beispiels: Bei Aftenposten dominieren neben dem Aufmacherphoto gleich zwei bis drei weitere Bilder in einer rechten Spur. Und wer herunterscrollt, stellt noch etwas fest: Die Seite arbeitet unfassbar stark mit Videos und Bildern als Kern der Elemente! Sofort bin ich gefangen, stöbere umher: Headlines ja, sehr gute, wie ich finde, aber Dachzeilen oder Sub-Headlines gibt es gar nicht. Skandinavischer Purismus in Reinkultur

Die Kacheln erinnern in ihrer klaren Aufgeräumtheit an die Fenster des Opernhauses am Osloer Hafen.

Texte vom Leser entrückt? Das Hauptgebäude von Aftenposten trifft der Regenbogen (Foto: Bernt Rostad)

Texte vom Leser entrückt? Das Hauptgebäude von Aftenposten trifft der Regenbogen (Foto: Bernt Rostad)

Freilich lässt sich darüber diskutieren, ob der journalistische Informationswert darunter leidet. Doch die starke Bildsprache ist auch eine Grundsatzentscheidung innerhalb der Nachrichtenseiten von Qualitätszeitungen. In Norwegen sorgte jüngst der Relaunch des Østlandets Blad in seiner Printausgabe für Aufsehen – und wird nicht nur national gelobt. Die Internetseite der am Nachmittag erscheinenden Regionalzeitung erinnert frappierend an den großen Bruder aus der Hauptstadt.

Die norwegische Aftenposten zeigt uns also ein mögliches Konzept als Reaktion auf die Anforderungen, die das Internet an die Präsentation von klassischen journalistischen Nachrichten stellt.

Dieses überzeugt vielleicht gerade aus einem Grund: Weil sie auf ihrer Seite stärker mit visuellen Elementen arbeitet als jede andere große Zeitung in Skandinavien oder Deutschland. Um meine Aufmerksamkeit zu erlangen! Dahinter, in den Texten, verbirgt sich immer noch qualitativer Textjournalismus. Ob der dem Leser zu weit entfernt ist, kann er selbst entscheiden: Mit einem Klick auf die nächste Nachrichtenseite.

2 KOMMENTARE , GEBE EINEN KOMMENTAR AB

  1. Ich finde, Berlingske hat eine schöne Schriftart – vor allem im Text, Aftenposten überzeugt durch die dunkle Rahmung, aber auch Süddeutsche.de ist nach dem Relaunch von vor einigen Wochen relativ weit vorne.

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