Paris,
Trendblogger-Jahrgang 2013/2014. Die Koffer sind gepackt und die linke Hosentasche frei für neue Eindrücke. Ab September atme ich für zehn Monate die Pariser Luft mit all ihrem Dunst und Nebel. Zehn Monate werde ich meine Heimat hinter mir lassen und als Philosophiestudentin der Sorbonne durch die Gassen der französischen Großstadt irren, suchend nach den innovativsten Medientrends, über die mich meine Nase so stolpern lässt. On y va!


Augen auf, jetzt gibt’s STRASS!

Wie blind ich war. Es waren ein paar lehrreiche Wochen, in denen ich mich in die Materie der Debatte um Prostitution eingelesen habe. Und hierbei spielten weder die polemische Schrift Alice Schwarzers noch allein das Manifeste des 343 salauds die entscheidende Rolle. In den letzten Tagen habe ich mich umgehört und versucht, ein Bild von dem zu zeichnen, was in den Medien hier in Frankreich über die Spanne von zwei Jahren zu einer Hetzjagd gegen Prostitution geworden ist. Besonders interessant war dabei die Einsicht in die französische und feministisch positionierte Sexarbeitsgewerkschaft STRASS (Syndicat du Travail Sexuel).

Lila Prost.

Bereits seit mehreren Jahren strebt die Parti socialiste eine Abschaffung der Prostitution in Frankreich an. Blickt man sich jedoch in der Medienwelt nach links und rechts um, ist eindeutig zu erkennen, dass es bereits eine gut vernetzte international vertretene Anti-Prostitutionslobby gibt. Hier geht es mit lauten Pfiffen sogenannter Abolitionisten unter dem Banner der Ausrufe „Kampf gegen Zuhälterei, Kampf gegen Menschenhandel, Kampf gegen Ausbeutung“, darum den Schutz der von ihnen als „Opfer“ bezeichneten einzufordern.

Aber welches Bild hat man nun vor Augen? Die Assoziationen dieser „Opfer“ sind durchtränkt von der Vorstellung eines medial konstruierten weiblichen Bildes, das Begriffe, wie „Wille“ und „Selbstbestimmung“ außerhalb der Möglichkeit stehen lässt. Ziemlich einseitig. Ausgehend von dem Kampfbegriff Système prostitueur [System Prostitution], wird suggeriert, dass es bei Prostitution nicht um Sex, sondern allein um Gewalt, Misshandlung und Ausbeutung gehe. Doch vielleicht wird bei all den repressiven Anweisungen vergessen die Frage zu stellen, ob dieses vereinfachte Système prostitueur in Wirklichkeit nicht etwas komplexer sein könne?

Seit Beginn dieses Monats hat die Diskussion um Prostitution eine ganz andere Ebene erreicht. Während zuvor travailleurSEs du sexe dafür kämpften, als eigenständige und selbstbestimmte DienstleisterInnen vom gesellschaftlichen System anerkannt zu werden, zielen nun diese Männer mit ihrem Manifest auf Gegenteiliges ab. Das Ergebnis ist ein Mediengefecht, welches das eigentliche Thema, das des Status‘ von Prostitution in der Gesellschaft, allein mit polemischen Begriffen zu überbrücken versucht. In dem Manifeste des 343 salauds erheben auf eine gezielt provokante Weise prominente Männer, die in auffälliger Überzahl der konservativen Seite zugewandt sind, mit dem Ausruf „Hände weg von meiner Hure!“ das Recht auf den weiblichen Körper. Kann bei diesem Rollentausch der Opfer noch von einer sachlichen, zielführenden Debatte gesprochen werden?

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Die Generalsekretärin der STRASS, Morgane Merteuil, erhebt das Wort, welches eindringlich erläutert, wie erniedrigend und antifeministisch die Äußerungen ebendieses Manifestes sind, gehen doch die Wurzeln der Zahl 343 weit in die entscheidende Geschichte des Feminismus‘ zurück. Es waren 343 salopes die 1971 verkündeten, dass trotz des Gesetzes, der moralischen Ordnung und all den anderen Risiken, niemand ihnen das Recht auf ihren eigenen Körper nehmen könnte. Es waren eben diese Frauen, die Risiken eingingen, und das nicht nur wegen der Stigmatisierungen oder Strafverfolgungen als vielmehr durch die Bedingungen des geheimen Abtreibens. Merteuil bewertet die Aussage des Manifests der 343 salauds sehr eindringlich. Besonders deutlich hebt das von ihr gewählte französische Wort „abject“, was zu übersetzen möglich wäre mit „abstoßend“, „niederträchtig“ oder „widerlich“, ihre Sicht auf die polemische Schrift hervor.

Sie betont, aufzupassen und nicht die Rollen innerhalb der Situation zu vertauschen und folglich zu denken, dass diese selbsternannten salauds die eigentlichen Opfer des Diskurses seien; Besteht doch ihre Möglichkeiten, offen zu gestehen Dienstleistungen der Prostitution in Anspruch zu nehmen, allein als Resultat ihrer ökonomischen und symbolischen Macht innerhalb einer kapitalistischen und patriarchalischen Welt. Denn in Wirklichkeit sind es die „putes“, die durch die Kriminalisierung der Kundschaft täglich stigmatisiert und erniedrigt werden, allein weil sexuelle Dienstleistungen verkauft würden. Und das, weil ebendiese nicht als ein „würdiges“ Metier gilt, um sein Leben zu finanzieren.

Merteuil kommt hierbei unter anderem auf den erst kürzlich von Maud Olivier vorgelegten Gesetzesentwurf zu sprechen. Dieser hat zur Folge, dass über eine zukünftige Bestrafung der Kunden der sexuellen Dienstleistung diskutiert wird, was ganz besonders die Vertreter_innen der STRASS aufs Blatt bringt. Es kommt der Argumentation Oliviers nur zu Gute, dass bezüglich der travailleurSEs du sexe immer nur von Frauen und bei den Dienstleistungsempfänger_innen grundsätzlich nur von Männern gesprochen wird. Aber was gibt es antifeministischeres, als von dem Grundsatz auszugehen, dass die Kunden ebenjene sind, die durch die Macht und den Geruch des Geldes, die travailleurSEs du sexe zu ihren Gunsten gefügig machten?

Die Conclusio dieser Annahme führt unabdingbar dazu, dass Menschen wie Maud Olivier ebendieser travailleurSEs du sexe den Willen und ganz besonders entscheidend die Selbstbestimmung aberkennen.

Unter dem Titel „Désintox“ versucht die französische Sexarbeitsgemeinschaft [STRASS, Syndicat du Travail Sexuel] mit den defizitären Kenntnissen der Bevölkerung bezüglich dieses Berufs aufzuräumen. Durch die negative Indoktrinierung der Medienlandschaft bezüglich der Sexarbeiter_innen vergessen viele Menschen, dass eben dieser Beruf genau wie manch anderer eine Existenzgrundlage bietet. Und auch wenn das Gesetz die Prostitution in Frankreich bisher noch nicht verbietet, so sind die travailleurSEs du sexe auch jetzt schon mit einer repressiven Gesetzgebung konfrontiert, wenn das aktive und passive Anwerben von Kunden unter Strafe stehen. Die genauen Angaben, was unter diesen Vorschriften zu verstehen sei, werden nirgends wirklich einleuchtend erläutert. Und so scheint es fast, als schwebe eine unsichtbare Hand der Willkür seitens der ausübenden Gewalt des Gesetzes über der Rechtsfrage bezüglich Prostitution.

Daher ist es wahrscheinlich einer der schwierigsten Kämpfe, den gerade feministisch positionierte Sexarbeitsgewerkschaften zu leisten haben. Und es ist wahrscheinlich einer der ermüdendsten, denn es ist einer der wichtigsten!

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